Erstsendung:
6.
November 2005, 20:15 Uhr, ARD Tatort # 613 - Tod auf der Walz (AT: Geschlossene Gesellschaft ; Tödliche Walz) Die
Münchner Kommissare Franz Leitmayr, Ivo Batic und Carlo
Menzinger haben es mit einem Handswerksburschen auf Wanderschaft
zu tun, der sehr tot unter der Großhesseloher Brücke liegt. Und
sie verstehen bei der Geheimsprache der Handwerksschächte nur
Bahnhof. Und dann endet auch noch der Zimmerer Gerry Neuner als
G'schnetzeltes.
Inhalt: Es wird ein langer Abschied. Der
Handwerksbursche Mario Leitgeb verlässt seine Mutter und geht
mit dem erfahrenen Gerry Neuner auf die Walz. In München finden
sie beim Bauunternehmer Pirner Arbeit und Brot. Nach einer
Auseinandersetzung mit dem Bauunternehmer trennen sich ihre
Wege, dennoch setzt sich Gerry für Marios Aufnahme im "Freien
Hoffnungsschacht" ein. Nach dem feierlichen Ritual von Marios
Initiation im Wirtshaus von "Vadder" Kolo Koydl erscheint auch
die hübsche, wandernde Handwerksgesellin Franzi Brandl. Beide
stammen aus dem bayerischen Ort Wurmannsreuth. Doch Mario
erkennt: Franzi hat nur Augen für Gerry. Wenig später wird Mario
unter der Großhesseloher Brücke ermordet aufgefunden. Die
Münchner Kommissare Ivo Batic, Franz Leitmayr und Carlo
Menzinger stehen vor der Aufgabe, im Umfeld der
traditionsreichen Handwerksschächte nach einem Mörder zu suchen
- unter Männern, die eine fremdartige Sprache sprechen und sich
ehrwürdigen, geheimen Riten verpflichtet fühlen. Und es kommt
noch schlimmer: Auf Franzi Brandl lastet ein alter Fluch.
---"Oberschräg"
findet
der Münchner Kommissar Carlo (Michael Fitz) den Toten unter
der Brücke: Es ist ein Handwerksgeselle in seiner Kluft. Wer
auf der Walz ist, darf drei Jahre nicht in seinen Heimatort
zurückkommen. Der Handwerksgeselle Mario (Tristano Casanova)
kehrt kurz nach Beginn seiner Wanderschaft im Sarg heim. Er
wurde ermordet. Mithilfe des Herbergsvaters Kolo Koidl
(großartig: Elmar Wepper) tauchen die Kommissare Leitmayr (Udo
Wachtveitl) und Batic (Miroslav Nemec) in die Welt der
"tippelnden" Gesellen und "Schächte" ein. Das Opfer war mit
Gerry (Maximilian Brückner) auf der Walz. Hatten sie sich
wegen der "Tippelschickse" Franzi (Lisa Maria Potthoff)
gestritten? Auch der windige Bauunternehmer Pirner ist
verdächtig ...
Hut ab! Mit Witz und Spannung macht der "Tatort" mit einer fremden Welt vertraut. Und ganz nebenbei erfahren die Zuschauer, wer von den Kommissaren der bessere "Nagler" ist. Hier geht man sehr gern mit auf die Walz. Aus: cinema.de Maximilian Brückner - Udo Wachtveitl - Tim Seyfi - Christoph Franken. Photos: BR Die
drei
Münchner Tatort-Kommissare suchen im Umfeld der wandernden
Handwerksgesellen nach einem Mörder. Geheime Bräuche und
ein Fluch überschatten die Ermittlungen. Leitmayr muss
sich unerkannt unter die fahrenden Gesellen mischen.
Linde Frühlingswinde wehen sanft über die bayerischen Landstraßen. Überall wird gebaut - auf der Walz, da läuft dir die Arbeit nach. Mit Stoßaxt, Winkel und Latt-Hammer verlässt der Handwerksgeselle Mario Leitgeb seine Mutter und das Heimatdorf Wurmannsreuth: Drei Jahre Wanderschaft, grenzenlose Freiheit unter sternenklarem Himmel erwarten ihn. Gerry Neuner, ein älterer Geselle, begleitet Mario auf seiner ersten Wegstrecke. Sie finden Arbeit auf einer Baustelle in München. Mit dem übel beleumundeten Münchner Bauunternehmer Pirner scheint der Jungspecht Mario noch eine Rechnung offen zu haben. Anders sind sein Festhalten an dem miesen Job und die geheimnisvolle Postkarte nach Hause kaum zu erklären. Im Wirtshaus von Vadder Kolo Koydl am Starnberger See fiebert Mario seiner Erwanderung entgegen. Zur Initiation trifft auch Marios heimliche Jugendliebe, die Wandergesellin Franzi Brandl vom Begegnungsschacht ein. Beide stammen aus demselben Ort. Früher galt: keine Frauen. Doch die Zeiten haben sich gewandelt. Drei Jahre und einen Tag müssen Handwerksgesellen "tippeln", also auf Wanderschaft sein, dürfen an jedem Ort nur ein paar Wochen bleiben. Das alles verlangt einen besonderen Schlag Mensch und hat einen ungeheuren Reiz. Aber bei ihrem Treffen hat Franzi zu Marios Enttäuschung nur Augen für Gerry. Kurz darauf wird Mario ermordet. Man findet seine Leiche unterhalb der Großhesseloher Brücke. Die Münchner Kommissare stehen vor der Aufgabe, im Umfeld der traditionsreichen Handwerksschächte nach einem Mörder zu suchen, unter Männern, die eine fremdartige Sprache sprechen und sich ehrwürdigen, geheimen Riten verpflichtet fühlen. Und es kommt während der Ermittlungen noch schlimmer: Auf Franzi scheint ein alter Fluch zu lasten. Leitmayr muss sich unerkannt unter die fahrenden Gesellen mischen... Quelle: BR --- Weites
Land
Schächte über der Erde oder: Der Tod auf Wanderschaft. Ein Münchner "Tatort" / Von Albert Ostermaier Auch wenn die Welt sich dreht, in Bayern bleiben die Kirchen im Dorf. Die Ministerpräsidenten bleiben zurück, die Zeit bleibt stehen, alles bleibt immer, wie es ist, und jeder wünscht es sich so, wie es war. Man bleibt noch auf ein Bier und bleibt ein Leben lang unverändert der Veränderung treu. Nur die Fallwinde fallen als Föhn von den Berghängen, und der Wind zieht über die hügeligen Wiesen und reißt den Herzschlag derer mit, die es trotzdem hinauszieht: aus der Engstirnigkeit des Vertrauten, aus dem Vorgegebenen und Immergleichen, in die Freiheit, die Endlosigkeit der Wolken. Sie wollen ihr Leben nicht nur selbst in die Hand nehmen, sondern auch unter ihren Füßen spüren, ihren eigenen Weg gehen, Schritt für Schritt. Mario Leitgeb (Tristano Casanova) ist so einer. Ein Handwerksbursche mit weichen Händen, ein Zimmerer mit traurig verhangenen Augen, ein Romantiker, ein Verliebter, der seiner Liebe folgen muß, welche Irrwege sie auch geht. Er verläßt seine Mutter (Johanna Bittenbinder), den Onkel Karl (Philipp Sonntag), Wurmannsreuth, sein Dorf, einfach alles, was er kennt als sein Leben. Auf der Walz will er sein. Drei Jahre und einen Tag will er auf Wanderschaft sein, an keinem Ort länger als ein paar Wochen oder eine Jahreszeit lang sein, nie dem Heimatdorf näher als auf 50 Kilometer. Hinter seinen Ohren ist er noch so grün wie die satten Wiesen um den Hof. Ungestüm ist er in seiner Unbedingtheit und Vorfreude. Deshalb geht er auch nicht allein, sondern mit seinem besten Freund, dem Neuner Gerry (Maximilian Brückner), seinem "Exportgesellen". Beide tragen sie die schwarze Kluft: den schwarzen Schlapphut, das kragenlose weiße Hemd, die samtene Manchesterweste und -hose mit weitem Schlag. Und in der Hand den "Stenz", den Wanderstock. Wie Desperados wirken sie, der Mario und der Gerry, als würde der Wilde Westen seine Staubkörner und Hufschläge über die bayerische Landschaft legen. Als gäbe es noch vereinzelte Rothäute in den schwarzen Tälern der langen Schatten, gäbe es reißende Flüsse ohne Brücken und Büffelherden am Horizont. Als würde in jeder neuen Ortschaft der Feind schon warten, die Prüfung und die Angst vor dem Fremden: der mißtrauische Blick vom Glas auf dem Tisch zur Tür, das Mißtrauen zwischen Männern. Als wäre das Leben ein Abenteuer, das man suchen muß und das keine Entschuldigung kennt außer den Tod. Für die Stillstandgesellschaft sind diese fahrenden Gesellen eine Bedrohung durch ihr Anderssein. Sie helfen mit beim Bau von Dachstühlen, nageln die Bretter fest für das Gebälk über dem Kopf. Aber sie sind immer auch ein Fragezeichen, am Seßhaften. Wie ein Spiegel der eigenen Unbeweglichkeit und Festgefahrenheit, wie ein Echo aus einer verlorenen Zeit, erfüllt von einem Ehrbegriff, der bekräftigend in die Hand schlägt, statt verschlagen seinen Vorteil zu suchen. Mit dem Manchesterkapitalismus haben sie nichts gemein, auch wenn ihre Westen so heißen. Man gibt ihnen Geld, als könnte man damit ein Unglück abwenden, man gibt es ihnen, wenn man ihnen keine Arbeit gibt, als eine Art Ablaß: Geh du für mich. Oder wie man in Bayern sagt: Laß mein Haus stehen, zünds andre an. Das Geheimnis, das sie umgibt, wird noch verstärkt durch ihre Sprache, die aus dem Rotwelschen, Hebräischen und Jiddischen stammt und die sich mit dem Bayerischen verschwört zu einer Fremdsprache inmitten der Heimat. Sie ist eine Sprache, die durch die Verfolgung ging. Für die Gesellen ist klar: Keiner soll sie verstehen, der nicht ihre Sprache spricht und damit ihre Werte teilt. "Ken, Kunde, ken", grüßen sie sich und erzählen sich vom letzten "Sausebrand", wie sie besoffen unterm Tisch lagen. Für Mario ist das die Welt seiner Träume, weil in ihr auch die Frau seiner Träume ist: die Franzi (Lisa Maria Potthoff). Auch sie ist auf der Walz. Doch sie sucht nicht nur Freiheit, sondern sie läuft vor dem Fluch davon, der ihr auf den Fersen ist und der sie immer wieder einholt. Bis sie selber an ihn glaubt. Bis die Lügen, das Verwünschen und das bösartige Ausrichten der Dorfbewohner in ihrem Kopf Wirklichkeit werden - bis das Gerücht zum Gericht wird über sich selbst. Mario ersehnt ein Wiedersehen mit ihr. Er hat ihr geschrieben. Jetzt erwartet er sie an seinem großen Tag, wenn er in den "Schacht", die Gesellenbruderschaft, aufgenommen werden soll, seine "Erwanderung" und Initiation durch den charismatischen Altgesellen Popp (Michael Tregor) im Wirtshaus von "Vadder" Kolo Koydl (Elmar Wepper). Nach der Erwanderung ist er ein Teil von ihnen, und sie, die Franzi, somit auch ein Teil von ihm. So stellt er es sich vor. Aber im gleichen Moment, als er erfährt, daß er aufgenommen wird, sieht er, wie Gerry und Franzi sich umarmen. Er sieht, daß ihre Liebe seinem Freund gehört und nicht ihm. Er fühlt, daß seine Wanderung zu Ende ist, bevor sie richtig begann, und er fühlt sich verraten. So bleibt Mario nur noch der andere Stachel seiner Walz, die Rache an dem brutalen, skrupellosen und illegale Polen ausbeutenden Bauunternehmer Pirner. Der, während er seine Arbeiter wie Tiere schinden und vor die Hunde gehen läßt, seinen eigenen Hund sklavisch wie einen Götzen verehrt. Die erste Leiche ist der Hund. Er fällt vom Dach. Die zweite ist Mario. Er liegt am Morgen unter der Großhesseloher Brücke im Münchner Süden. Es sieht nach Selbstmord aus. Doch schnell wird klar, daß es sich um einen Mord handelt. Daß er an einem anderen Ort stattfand. Und daß die Leiche einen langen letzten Weg zu machen hatte. Ivo Batic (Miroslav Nemec), Franz Leitmayr (Udo Wachveitl) und Carlo Menzinger (Michael Fitz), die Kommissare, treffen bei ihren Untersuchungen auf eine Welt, die sie vor lauter Rätsel stellt. Sie stehen vor Zimmermännern mit Äxten, werden konfrontiert mit einer unverständlichen Sprache und verschlossenen Gesichtern. Wie Eindringlinge empfängt man sie: Mißtrauen, Schweigeverbote, dann sind alle in alle Winde verstreut. Doch bei Vadder Kolo, dem Gastwirt und Herbergsvater, treffen sie wieder zusammen: zu einem Fest. Er umpflegt sie wie eigene Kinder, mit einem seltsamen Übereifer. Er will dabei sein, spricht ihre Sprache, den "Kundenschall". Er ist in ihrem Denken zu Hause, und dabei ist er immer unter einem eigentümlichen, nervösen Druck, als hätte er etwas gutzumachen. Seine Fürsorge ist immer auch eine versteckte Sorge. Er ist für Leitmayr und Batic der Übersetzer und Türöffner. Er ist das, was man sich unter einem Wirt vorstellt, aber auch ein Wirt für Vermutungen und Verdachte. Bei ihm trifft sich die Gesellbruderschaft, bei ihm waren alle schon einmal, bei ihm laufen die Fäden zusammen. Über ihn finden die Polizisten auch Gerry und Franzi. Doch ihre Untersuchungen führen sie nicht nur auf die Spuren der wandernden Gesellen und auf die Baustellen Pirners, sondern auch in Marios, Gerrys und Franzis Heimat, nach Wurmannsreuth, wo im Wirtshaus bei Schweinsbraten, Knödel und Bier die Stammtischbrüder den Fall aufklären wollen: Denn es ist ja klar, die viel zu hübsche Franzi ist eine Hex, eine Gezeichnete, ihr Mann sei ja nicht umsonst ertrunken, und vorher schon der Bruder im Bach, und daß der Mario jetzt ... - kurz: Die zieht das Unglück auf sich. Nur die resolute, aufrechte Wirtin (Monika Baumgartner) weiß ihnen mit Lokalverbot Einhalt zu gebieten. Man spürt, wie auch das üble Nachreden ein Totschlagen ist, wie die Stammtischbrüder in ihrer ebenso fremden- wie gedankenfeindlichen Welt lieber dem Aber glauben als dem Menschen. Selbst Marios Mutter, nachdem sie im Kühlhaus zärtlich über seine Wangen strich und verzweifelt weinte, daß es ihm doch zu kalt sein müßte hier, selbst sie schiebt die Schuld auf Franzi. Sie verwünscht Franzi und krümmt die Finger zur Teufelsabwehr. Tatsächlich nimmt das Unglück seinen Lauf, der nächste Mord. Und wieder ist Franzi unter den Verdächtigen. Was hat es mit ihrer Geschichte auf sich, was mit dem Fluch? Franzi wurde von ihrem krankhaft eifersüchtigen Mann um allen Glauben an sich und das Leben gebracht. Seinen Unfalltod empfand sie als Befreiung, was sie sich vorwirft, als hätte sie damit eine Schuld auf sich geladen. Leitmayr gelingt es, ihr Vertrauen zu gewinnen, sich in seiner unverwechselbaren Art in sie einzufühlen und einzufragen, mit seiner investigativen Zärtlichkeit, seinem Verstehen, das nie bloße Attitüde oder Ermittlungstechnik ist, sondern immer Herzschlag hat. Er ermutigt sie, Künstlerin zu werden, und die Differenz wird sichtbar zwischen dem, was die Leute reden, und dem, was ein Mensch ist und was er zu sagen hat. So ist dieser Tatort aus Bayern, aus München, nicht nur reich an Spannung, sondern auch an Fremdheitserfahrungen, dunklen Abgründen und in die Helle getauchten Seelenlandschaften. Er zeichnet seismographisch die Erschütterungen hinter den schönen Fassaden auf, die Postkartenbilder fallen aus ihrem nostalgischen Rahmen, die Brüche werden sichtbar, in den Biographien, in der Stadt, auf dem Land. Nichts gerät zum topographischen Klischee oder wird als Exotikum ausgestellt. Dies verdankt dieser Tatort nicht nur dem walzsprachwitzigen Drehbuch von Markus Fenner und der feinstimmigen Regie von Martin Enlen, sondern auch den überragenden Schauspielern: Elmar Wepper als Kolo, Lisa Maria Potthoff als Franzi und natürlich dem Trio Nemec, Wachtveitl, Fitz. Drei Soloinstrumente, die die schrägste Harmonie und Anarchie miteinander verbindet. Man wünscht sich, daß sie noch viel "scheniegeln" müssen. Und den Nagel weiter auf den Kopf treffen. Quelle: Süddeutsche Zeitung, 5. Nov. 2005
Retrokritik
zum BR-Tatort "Tod auf der Walz", wiederholt am 16.
April 2024 anlässlich des 80. Geburtstags von Elmar
Wepper (16.4.1944 – 31.10.2023):
So war der Tatort: Bayrisch-traditionell. Denn zwischen Tippelbrüdern, Erwanderungen und Kuhköppen fordert diese Folge nicht nur das (nicht-bayrische) Publikum, sondern auch die Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) sprachlich besonders heraus. Die Ermittlungen im 41. Fall des Münchner Teams samt Assistenten Carlo Menzinger (Michael Fitz) führen weit hinaus ins rustikale Umland der Landeshauptstadt und ins Milieu der wandernden Handwerksgesellen, die ihren eigenen "Schnack" haben und nach althergebrachten Bräuchen leben. Entsprechend idyllisch-pastoral beginnt der 613. Tatort: Begleitet von Mundharmonika-Musik beginnt der junge Zimmermann Mario Leitgeb (Tristano Casanova) beschwingt wie nervös seine Walz und lässt sein (fiktives) Heimatdorf Wurmannsreuth hinter sich. Kurz darauf findet man ihn tot unter einer Münchner Eisenbahnbrücke. Was wie ein Selbstmord aussehen soll, stellt sich schnell als deutlich komplexer heraus: Leitgeb wurde erschlagen. Danach wurde seine Leiche irgendwo hinuntergestürzt und schließlich unter der Brücke deponiert. Vor diesem Leichenfund erlaubt uns Regisseur Martin Enlen einen kurzen Einblick in das Leben des blauäugigen jungen Mannes: Wie er sich von seiner besorgten Mutter Anny (Johanna Bittenbinder) verabschiedet, wie er in die Gemeinschaft der Tippelnden Brüder Hoffnungsschacht aufgenommen wird, wie er auf der Baustelle seines aktuellen Arbeitgebers Pirner (Anton Rattinger) dessen Geldtasche klaut. Stets an Marios Seite ist sein Freund und Kollege Gerry Neuner – dargestellt von Maximilian Brückner, der später für sieben Fälle als Hauptkommissar Franz Kappl in Saarbrücken vor der Kamera steht, unter anderem im Tatort-Meilenstein "Verschleppt". Mario und Gerry wollen in der Herberge von Kolo Koidl (Elmar Wepper) Marios Aufnahme in die Handwerkervereinigung feiern, doch als Franziska Brandl (Lisa Maria Potthoff) eintrifft, kippt die Stimmung. Die junge Frau ist ebenfalls auf der Walz und war früher Marios Nachbarin im kleinen Wurmannsreuth. Aus Verliebtheit ist er ihrem Vorbild gefolgt und muss nun mit Entsetzen feststellen, dass sie inzwischen mit Gerry angebandelt hat. So wissen wir schon etwas mehr über mögliche Konflikte, die zu Mario Leitgebs Tod geführt haben könnten, während sich Batic und Leitmayr erstmal mit dem Leben der Zimmerergesellen vertraut machen und vor allem die Sprachbarriere überwinden, die sich durch das spezielle Vokabular der Walzbrüder selbst für den gebürtigen Bayern Leitmayr auftut. Stück für Stück erarbeiten sie sich diese Welt abseits der Großstadt, die im krassen Gegensatz zu ihrem üblichen Umfeld steht: urbayrisch, oft übertrieben verschroben und hinterwäldlerisch. Hier hält man nichts von handwerkenden Frauen, trinkt tagein tagaus in der Gaststätte Bier und glaubt fest daran, dass Franzi mit einem Fluch belastet ist, der schon zwei Männer das Leben gekostet hat. Batic: „Da hast du dein Bayern: Helles Bier und finsterer Aberglaube.“ Wenngleich das ländliche Umfeld stark überzeichnet ist: Die beschauliche Szenerie und die große Portion Lokalkolorit sorgen für eine willkommene Abwechslung im Vergleich zu anderen Fällen des Münchner Teams. Von der Stadt an der Isar sieht man in dieser Folge kaum etwas. Gleichzeitig driftet Tod auf der Walz aber dank der gar nicht so friedvollen Handlung keineswegs in die Richtung seichter Vorabend-Formate wie "Die Rosenheim-Cops" ab. Drehbuchautor Markus Fenner baut vielmehr ein verwickeltes Beziehungsgeflecht auf: Jeder hat mit jedem etwas zu tun und niemand scheint ganz unschuldig zu sein. Obwohl wir mehr wissen als die Kommissare, fällt es uns sehr schwer, dem wilden Durcheinander zu folgen. Eine realistische Möglichkeit zum Mitraten in diesem Whodunit erhalten wir nicht. Zwei unerwartete Wendungen zum Schluss sorgen zwar für gelungene Überraschungsmomente, führen die losen Enden aber auch etwas zu perfekt zusammen. Dass trotzdem Spannung entsteht, ist zu großen Teilen Lisa Maria Potthoffs toller Darstellung der Franzi Brandl zu verdanken. Überzeugend und einfühlsam spielt sie eine junge Frau, die von ihrer Vergangenheit nicht losgelassen wird und gegen die sich alle verschworen zu haben scheinen, während sie nur ihren Platz in der Welt finden möchte. Als sie von der Sympathieträgerin zur Hauptverdächtigen wird, verstärkt das unser Mitfiebern erst recht. Für (flache) Unterhaltungsmomente sorgt ansonsten das Sich-Lustig-Machen der großstädtischen Kommissare über das Landleben: Für den Undercover-Einsatz im Holzfällerhemd wählen sie Leitmayr per Nagelwettbewerb aus und küren ihn kichernd zum "Chefnagler von Wurmannsreuth". Heile Welt herrscht also eher im Münchner Polizeipräsidium als auf dem idyllischen Land. Bewertung: 6/10. Von Sonja Kowallek auf "Wie war der Tatort?" |
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erstellt
am 25. März 2009 von EFi |
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