Wenn
Schüler Lehrer tyrannisieren: Der spannende
Psychothriller von Gregor Schnitzler zeigt, wie leicht es sein kann,
unschuldige Menschen zu vernichten
Was passiert, wenn es keine Wertvorstellungen mehr gibt? Wer bestimmt dann, was Gut und Böse ist? Oder werden diese Kategorien schlicht nicht mehr existieren? Diese Fragen behandelt die neue Regiearbeit von Gregor Schnitzler ("Die Wolke"), die auf einem Roman von Juli Zeh basiert. Im Mittelpunkt steht die hochtalentierte, nicht sonderlich attraktive Ada (Michelle Barthel), die an ihrer Schule ein Außenseiterdasein führt. Nähe lässt sie nur zu ihrem neuen Klassenkameraden Alev (Jannik Schümann) zu, in dem sie einen Geistesverwandten zu erkennen glaubt. Der nihilistische Mini-Mephisto weiht Ada in seine Theorie ein, dass alles menschliche Verhalten auf Spieltechniken beruht und ganz simpel zu berechnen ist. Der gutmütige Sport- und Deutschlehrer Smutek (Maximilian Brückner) wird zum ahnungslosen Versuchskaninchen des ungleichen Paares. Alev und Ada verstricken den Pädagogen in eine perfide Affäre um Hörigkeit und Erpressung, aus der es keinen Ausweg zu geben scheint. Mit fatalem Ausgang ... Ada (Michelle Barthel) und Alev (Jannik Schühmann) beim Bootsausflug mit seinen Komplizen. © Concorde Filmverleih "Spieltrieb" ist ein faszinierender Schulhofthriller über Macht, Kontrollverlust und soziale Deformation. Wenn Ada und Alev den wehrlosen Lehrer in sein Verderben treiben, fehlt ihnen jedes Unrechtsbewusstsein. Sie handeln wie Zombies, die ihr Opfer nicht physisch, sondern psychisch vernichten. Eine der beiden handelnden Figuren wird aus dem "Spiel" geläutert hervorgehen, bei der anderen Person weiß man das nicht so genau. Schnitzlers Film wirkt - wie die literarische Vorlage - manchmal überkonstruiert, ist aber durchgängig spannend und fast so etwas wie ein Gruselfilm über die Generation Pisa. Fazit: Ein abgründiges, bösartig schillerndes Katz-und-Maus-Spiel über Obsession und Manipulation. 4 von 5 Punkten / 75% von 100% Copyright © Cinema.de . . . . . Qualität aus Deutschland: Die beste Romanverfilmung seit Ewigkeiten Fast zehn Jahre hat es gedauert, bis Juli Zehs Erfolgsroman "Spieltrieb" verfilmt wurde. Versuche gab es in der Zeit einige, aber erst ein Rechtewechsel zum jetzigen Produzenten Markus Zimmer brachte Bewegung in das Projekt. Ein Jahrzehnt, nachdem Zeh ihren Roman geschrieben hat, ist er vielleicht noch relevanter geworden. Er greift ein Problem auf und nutzt das, was es nach Meinung der Hauptfigur gar nicht gibt: zwei Perspektiven, aus denen man ein Ereignis sehen kann. Ada (Michelle Barthel) ist 15 und hochintelligent. Sie hat ein paar Klassen übersprungen, gilt in ihrer Schule aber als Außenseiterin. Als Alev (Jannik Schümann) in ihre Klasse kommt, ist er der Mittelpunkt von allem. Unangepasst, unbequem, aufmüpfig, aber auf alle faszinierend wirkend – mit Ausnahme des Lehrkörpers. Ada fühlt sich von ihm angezogen und er schlägt ein Spiel vor. Sie soll den Lehrer Smuttek (Maximilian Brückner) verführen, während Alev alles filmt. Danach soll Smuttek erpresst werden. Aber nicht, um sich einen Vorteil zu verschaffen, sondern um ihn aus seinem selbstgewählten Gefängnis zu befreien. Alev plant, ihn mit der Banalität seines Seins zu konfrontieren, ihm die Grundlagen desselben unter den Füßen wegzureißen und ihn so zu zwingen, sich selbst neu zu erfinden. Am Ende dieses Spiels könnte ein glücklicheres Leben stehen. Das Leben als Spiel Das Faszinierende an der Geschichte ist der Blick auf das Leben als ein einziges, großes Spiel. Das fängt mit den Individuen im Kleinen an und setzt sich mit Firmen und Staaten im Großen fort. Daraus bezieht die Hauptfigur auch ihre Rechtfertigung. Sie spielt mit dem Leben anderer, sieht sich moralisch aber im Recht. Denn das Ziel ist eine Verbesserung des Lebens des anderen, auch gegen dessen unbedingten Willen. Das Problem dabei: Man maßt sich an zu entscheiden, was das bessere Leben ist. Größenwahn schwingt hier mit und wird in der Figur Alev verdichtet und gebündelt. Aber auch hier greifen die zwei Perspektiven: Die einigermaßen objektive, die zeigt, wie er die Leben anderer zerstört, und die weit subjektivere, die ihm zugestehen muss, dass die Idee oder sozusagen das Konzept hinter seinem Spiel einen durchaus interessanten Gedankenansatz bietet. Der Film stellt die moralische Frage dabei auch dem Zuschauer. Er zeigt genug vom Leben aller Beteiligten, damit man sich ein Bild machen und erkennen kann, wo die Fehler liegen und was besser sein könnte. Wenn die Figuren denn den Mut aufbringen würden, sich zu erkennen und zu ändern - was ihnen aber missfällt. Aber damit stehen sie auf Seiten des Publikums. Kaum jemand ist in der Lage, sich in dieser Form zu erkennen und die Weichen zu stellen, aus dem eigenen Gefängnis auszubrechen. Tradiertes Benehmen, Apathie, die irregeleitete Hoffnung darauf, dass es schon von selbst besser wird, verhindern, dass getan wird, was notwendig ist. Weil Veränderung in der Regel auch Schmerz bedeutet, unangenehm ist, und der Ausgang natürlich fraglich ist. Es könnte auch alles schlechter werden, als es ist. Das Tabu des Regelbruchs "Spieltrieb" befasst sich mit einem Thema, das heutzutage in den Nachrichten präsenter ist als noch vor einigen Jahren: der Beziehung eines Lehrers zu seiner Schülerin. Der Film verzichtet hierbei auf eine moralische Einordnung, vielmehr zeigt er, dass es auch hier zwei Perspektiven gibt, die bestimmen, wie man ein Ereignis letzten Endes bewertet. Es ist recht mutig, hier nicht nur das Mädchen, sondern im weiteren Sinne auch ihren Freund, also die Verführer, zu zeigen. Die Schuld wird umgekehrt: Das Opfer ist der Erwachsene, der nicht nur zum Spielball der Jugendlichen wird, sondern dessen emotionales Seelenleben von Grund auf manipuliert wird. In diesen Momenten lädt sich die Geschichte mit einer Spannung auf, die zu unangenehmen Sequenzen führt. Als Alev das Spiel weitertreibt, ist er es im Grunde, der den Lehrer missbraucht, sich selbst aber zugleich aufs Podest stellt. Er ist der Held seiner eigenen Geschichte, eine gottgleiche Figur, die gibt und nimmt, wie es ihr beliebt. Die Faszination, die der junge Mann auf seine Umwelt ausübt, entzieht sich dem Publikum. Es erkennt ihn als das, was er ist: ein gefährlicher, junger Mann, für den die Grenzen zwischen Phantasie und Fiktion längst verschwunden sind. Er agiert tatsächlich, als würde er Spielsteine auf einem Brett bewegen. Auch das ist eine Art, sich moralisch von den eigenen Taten zu lösen. Das Leben ist nur ein Spiel, aber für Jugendliche ist es spielenswerter als für alle anderen. Denn in ihrem Leben steht weniger auf dem Spiel, Fehler werden noch verziehen, die Zukunft kann selbst nach großen Fehlern noch rosig aussehen. Aber was passiert, wenn man als Erwachsener in ein solches Spiel gerät, das droht, das Leben, wie man es kennt, aus den Angeln zu heben? Der Frage geht "Spieltrieb" nach, der eine ungewöhnliche Ménage à trois in den Mittelpunkt rückt und mit schweren moralischen Fragen aufwartet. Die sind es auch, die den Film auszeichnen, denn der Zuschauer wird gefordert, sich nicht nur eine Meinung zu machen, sondern moralisch zu positionieren. "Spieltrieb" ist in der Beziehung herausfordernd. Einfache Antworten bietet er nicht, interessante Fragen vermag er jedoch aufzuwerfen. Gregor Schnitzler hat Juli Zehs Roman in gelungener Verdichtung auf die Leinwand gebracht und kann dabei auf exzellente Mimen setzen. Besonders gut: Michelle Barthel, die nicht auf die großen Gesten setzt, aber dafür mit ganz subtilem Spiel überzeugen kann. "Spieltrieb" ist intelligentes, mitreißendes und nachdenklich stimmendes Kino. Eine Coming-of-Age-Geschichte mit richtig viel Biss. 8 von 10 Punkten Copyright © Peter Osteried, Gamona.de, 25.09.2013 . . . . . Die Brasilianer waren schneller, zumindest ein bisschen. Denn während die deutsche Verfilmung des 2004 erschienenen Bestsellers "Spieltrieb" erst im Oktober in die Kinos kommt, wurde im brasilianischen Fernsehen bereits im Mai und Juni 2013 eine zwölfteilige, ebenfalls auf Juli Zehs Roman basierende Miniserie ausgestrahlt. Dass deutsche Literatur im südamerikanischen TV für Quoten sorgen soll, klingt zunächst überraschend, ist es aber gar nicht unbedingt: Denn wenn man den philosophischen Überbau der Vorlage weglässt und sich stattdessen nur um den Teenager-erpressen-ihren-Lehrer-mit-Sexvideos-Plot schert, bleibt schließlich kaum mehr übrig als eine irgendwo zwischen "Eiskalte Engel" und "Shades of Grey" angesiedelte Skandal-Soap. Regisseur Gregor Schnitzler, der mit "Spieltrieb" nach "Soloalbum", "Die Wolke" und "Resturlaub" nun seine vierte Kino-Romanadaption am Stück vorlegt, hat zum Glück etwas höhere Ziele. Was die komplexen moralischen Fragen des Buches angeht, kratzt er zwar auch nur an der Oberfläche, aber zumindest entwirft er ein stimmig-intensives Porträt seiner beiden philosophiegeilen Protagonisten. So ist "Spieltrieb" dann doch irgendwie eine deutsche Variante des stylisch-provokanten Teenager-Intrigantenstadels "Eiskalte Engel" geworden - und zwar gar keine schlechte! Die 15-jährige Ada (Michelle Barthel) ist nicht nur ihren älteren Klassenkameraden, sondern auch vielen ihrer Lehrer an einem elitären Bonner Privatgymnasium intellektuell haushoch überlegen, weshalb sie außer ihrem körperbehinderten Philosophielehrer Höfi (Richy Müller) eigentlich niemanden hat, mit dem sie wirklich reden kann. Das ändert sich erst, als der 18-jährige Schönling Alev (Jannik Schümann) in ihre Klasse kommt, der seine Intelligenz in erster Linie dazu einsetzt, andere zu provozieren. Für ihn ist alles nur ein Spiel - und für sein nächstes Spiel braucht er Ada, die sich bereits ein bisschen in den regelmäßig Stripclubs besuchenden, aber nach eigener Aussage impotenten Neuankömmling verliebt hat. Alev will von seiner jungfräulichen Neu-Mitspielerin, dass sie ihren Sportlehrer Smutek (Maximilian Brückner) in der Turnhalle verführt, während er die beiden aus einem Versteck heraus filmt. Ada entwickelt nach dem heimlichen Pornodreh Mitleid für ihren nun immer wieder zum Sex gezwungenen Lehrer, doch schnell ist klar, dass aus diesem "Spiel" wohl niemand als "Gewinner" hervorgehen wird... Darf man jemanden zu seinem Glück zwingen? Etwa indem man ihn beim Sex mit einer minderjährigen Schutzbefohlenen filmt, um ihn so dazu zu bringen, endgültig aus seiner unglücklichen Ehe auszubrechen? Den allermeisten Kinobesuchern wird spontan ein deutliches "Nein!" auf den Lippen liegen, aber für Ada verschwimmen die Grenzen zwischen den Erkenntnissen der tief verehrten Existenzialisten in ihrem beeindruckend bestückten Bücherregal und der sich mit der ersten Verliebtheit einstellenden allgemeinen Verwirrung zunehmend. Statt dieses moralische Dilemma und die dahinterstehenden grundlegenden Ideen genauer in den Blick zu nehmen, zeichnen Regisseur Schnitzler und seine großartige Hauptdarstellerin Michelle Barthel (vier "Tatort"-Rollen in nur zwei Jahren) lieber das Porträt eines verlorenen Mädchens, das sich für einen Jungen Hals über Kopf und ohne großes Nachdenken ins Unglück stürzt: eine liebestolle Protagonistin eignet sich einfach besser zum unmittelbaren Mitfiebern als eine mit zunächst wenig einleuchtender abstrakter Motivation wie im Roman - aber unter diesen veränderten Voraussetzungen wirken die immer wieder eingestreuten, bewusst cool-trockenen Nihilismus-Dialoge dann oft, als würden zwei Schüler etwas auswendig aufsagen, das sie in der letzten Ethikstunde nebenbei aufgeschnappt haben. Stylisch, sexy & provokant - wenn diese vielversprechende Troika, die sich viele Fans auch von der für 2014 angekündigten ersten "Shades of Grey"-Verfilmung erhoffen, durch den deutschen Kinowolf gedreht wird, kommt am Ende oft genug nur "piefig, spießig & altbacken" heraus. Aber abgesehen von einer lächerlich-prüden Szene im Stripclub (könnte man so auch in der "Lindenstraße" zeigen) gelingt Gregor Schnitzler eine die meiste Zeit über tatsächlich richtig schicke Hochglanzinszenierung, mit der er sich vor der Hollywoodkonkurrenz nicht zu verstecken braucht. Der Höhepunkt: eine surreal-orgiastische Tiermasken-und-Feuerwerk-Gartenparty, die so gar nichts mit nordrhein-westfälischer Kleinbürgerlichkeit gemein hat! So lässt der Regisseur mit "Spieltrieb" selbst- und stilbewusst jede deutsche Piefigkeit links liegen, auch wenn sich der Film mit seiner im Vergleich zum Roman biederen Schwerpunktsetzung am Ende als allenfalls halb so radikal wie seine alles für ein simples Spiel riskierenden Teenager-Anti-Helden erweist. Fazit: Regisseur Gregor Schnitzler macht aus Juli Zehs provokant-philosophischem Bestseller eine weniger originelle, aber dafür stylisch gefilmte und intensiv gespielte Variante von "Eiskalte Engel" ganz ohne deutsche Piefigkeit. 3 von 5 Punkten Copyright © Christoph Petersen, Filmstarts.de . . . . . Eine "frühreife" Ausnahmeschülerin, ein diabolischer "Agent Provokateur" und ihr unbedarfter Lehrer - aus dem brisanten Dreiecksverhältnis des Erfolgsromans von Juli Zeh entwickelt sich unter er Regie Gregor Schnitzlers das Portrait einer modernen "Jugend ohne Gott" Ada (Michelle Barthel) und Alev (Jannik Schümann) spielen also. Und zwar im Gegensatz zu den meisten Fünfzehnjährigen nicht mit dem Risiko, beim illegalen Alkoholkauf erwischt zu werden, sondern mit dem Schicksal eines Menschen: Ihrem Lehrer Szymon Smutek (Maximilian Brückner). Ada, intelligent und gelangweilt von der intellektuellen Mittelmäßigkeit ihres Umfelds, ist eine klassische Außenseiterin: "Seit Ada im Alter von zwölf Jahren auf den Gedanken verfallen war, dass Sinnsuche nichts als ein Abfallprodukt der menschlichen Denkfähigkeit sei, galt sie als hochbegabt und schwer erziehbar", heißt es im Roman. Als Alev El Qamar - "Hobbys: Nachdenken, Atheismus, leichte Drogen" - zu Beginn des neuen Schuljahres in ihr Leben tritt, entwickelt sich eine Beziehung, die die beiden zunächst als klaren Gegenentwurf zu den jugendlichen Liebeleien ihrer KlassenkameradInnen verstehen: "Wir wären ein tolles Paar, wenn wir an die Liebe glauben würden", befindet Alev. Statt an profane Romantik glaubt er an die Grundsätze der Spieltheorie - und macht Ada zu seiner Komplizin im Spiel mit Smutek, das die Machtverhältnisse zwischen SchülerInnen und LehrerInnen neu ordnet. Juli Zeh, bekannt geworden durch ihr Debut "Adler und Engel", löste 2004 mit "Spieltrieb" leidenschaftliche Debatten im Feuilleton aus: Von Lobeshymnen auf ihren Bruch mit der "braven Deutschleistungsprosa" (ZEIT) des hiesigen Literaturbetriebs bis hin zu Kritik an der "prätentiösen Geschwätzigkeit" der Charaktere (Frankfurter Allgemeine Zeitung) reichten die Bewertungen - nur ignorieren konnte den Roman über das perfide Experiment zweier Jugendlicher am gutbürgerlichen Ernst-Bloch-Gymnasium niemand: Zu erbarmungslos steuerte die Handlung auf die Tragödie zu, zu ungefällig brach die Abgründigkeit der jungen ProtagonistInnen mit den Erwartungen an Adoleszenz-Romane. Der konsequente Nihilismus, den Juli Zeh ihren Figuren andichtet, begründet dabei einerseits den Reiz der Geschichte, andererseits überschreiten die philosophischen Exkurse der jungen AkteurInnen oft die Grenzen des Ertragbaren: Die Tatsache, dass Ada und Alev selten über etwas anderes als ethische Grundfragen diskutieren dürfen, handelt dem Roman ein Glaubwürdigkeitsproblem ein. Umso verblüffender, wenn im Kino plötzlich eine geradezu nahbare Ada die Leinwand betritt und menschliche Gefühle für ihren Möchtegern-Intellektuellen mit Dandyfrisur, Anzug und Gottkomplex hegt. Regisseur Gregor Schnitzler verwandelt das Ernst-Bloch-Gymnasium von einem Hort der Anti-Moral, der ausschließlich von frühpubertären ExistenzialistInnen bevölkert zu sein scheint, in eine (fast) normale Schule. Mehr noch: Er deutet das Verhältnis der Hauptcharaktere nicht als asexuelle KomplizInnenschaft, sondern rückt Adas zunehmenden Wunsch nach körperlicher Liebe in den Fokus. Eine Interpretation, die der Geschichte eine völlig neue Dynamik verleiht: Folgt Ada Alevs Spiel aus eigener Überzeugung oder ist sie ihm schlichtweg verfallen? Überhaupt hat sich Gregor Schnitzler für einen anderen Zugang entschieden, als die Romanvorlage vermuten lassen würde: Partyszenen, Popmusik (u.a. von Veronica Falls) und dramaturgische Vereinfachungen nehmen der Adaption die Schwere, ohne die moralische Grundfrage aus den Augen zu verlieren. Gegen Ende verlässt ihn leider trotzdem der Mut zum kontroversen Finale, die ZuschauerInnen dürfen den Saal mit einem wohligen Happy-End-Gefühl verlassen. Das Ergebnis ist eine leichter zugängliche Version von Juli Zehs Werk: Weniger komplex, weniger düster, aber auch weniger konstruiert. Ob das ein Verlust oder ein Zugeständnis an die Lebensrealität der portraitierten Generation ist, steht sicherlich zur Debatte. Legitim ist es allemal: Regisseur Gregor Schnitzler beweist mit "Spieltrieb", dass eine Romanverfilmung nicht die bebilderte Version seiner literarischen Vorlage sein muss - sondern als Interpretation für sich stehen darf. AVIVA-Tipp: Juli Zehs "Spieltrieb" wurde an anderer Stelle bereits als postideologisches Äquivalent zu Ödön von Horváths "Jugend ohne Gott" bezeichnet. Darf ein/e RegisseurIn diesen Roman als Coming-of-Age-Story inszenieren? Darf er. Mit ihrer narzisstischen "Wir-gegen-den-Rest-der-Welt"-Attitüde sind Gregor Schnitzlers ProtagonistInnen sicherlich keine SympathieträgerInnen, bleiben aber dennoch nicht völlig unnahbar. In der Kritik wurde der Versuch, den philosophischen Anspruch des Stoffs spielfilmtauglich umzusetzen, bisher positiv aufgenommen: Die Jury der Deutschen Film- und Medienbewertung FBW würdigte "Spieltrieb" zu Recht mit dem Prädikat "besonders wertvoll". Copyright © Julia Lorenz, AVIVA-Berlin.de, 25.09.2013 . . . . . Spielst du mit mir
oder gegen mich?
Die Verfilmung von Juli Zehs "Spieltrieb" ist ein Thriller über Unmoral und ihre Folgen. Eine Gesellschaftsstudie, wie der Roman es sein will, ist er nicht. Zum Glück. Juli Zehs Bücher kann man mögen oder nicht. Manche lieben ihre metaphernreiche Sprache, andere nervt das intertextuelle Klugscheißertum ihrer Texte. Über ihren zweiten Roman Spieltrieb aus dem Jahr 2004 stritten sich die Feuilletons heftig. Die ZEIT empfahl den Roman als Pflichtlektüre, die FAZ spöttelte, man fühle sich wegen der dauernden Literaturverweise auf Nabokov und Musil wie in einem Literatur-Leistungskurs. Nun ist Spieltrieb verfilmt worden, als Thriller über zwei Schüler, die nach eigenen Regeln mit dem Schicksal von Menschen spielen. Ada, 14 Jahre alt, hochbegabt und hochmütig, geht auf das Ernst-Bloch-Gymnasium. Im Unterricht ist sie unterfordert, von ihren Mitschülern wird sie gemieden oder gemobbt. Nach den Sommerferien kommt Alev in ihre Klasse. Er ist in verschiedenen Ländern aufgewachsen, sieht gut aus, ist ein Dandy. In ihm erkennt Ada einen Seelenverwandten. Die beiden Einzelgänger kommen sich näher, Ada verliebt sich in Alev. Er präsentiert ihr seine Theorie: Was Menschen tun, sieht er als Handlung in einem Spiel. Sein Ziel ist es, Menschen zu manipulieren und nach Belieben zu steuern. Ada (Michelle Barthel) und ihr Sportlehrer (Maximilian Brückner) beim wöchentlichen Spieltraining, Alev (Jannik Schühmann) filmt. © Concorde Filmverleih Das erste Opfer der beiden wird der Sport- und Deutschlehrer Smutek. Ada verführt ihn in der Turnhalle und Alev filmt sie dabei. Anschließend erpressen die beiden Smutek mit den Aufnahmen. Ihre Forderung: Smutek soll einmal wöchentlich, immer freitags, mit seiner Schülerin schlafen. Es geht Ada und Alev nicht um Geld, es geht um die Freude am Spielen und darum, das Leben anderer zu steuern. "Wir mischen das Leben auf und werden Schöpfer eines Realdramas", sagt Alev. Nie ist ganz klar, wer in dieser Dreierkonstellation Täter und wer Opfer ist. Als Smutek sich weigert, weiter mitzuspielen, und Ada klar wird, dass Alev sie nur benutzt, eskaliert das Spiel in der Sporthalle. Spannender Coming-of-Age-Thriller Der Regisseur Georg Schnitzler, bekannt durch Filme wie Soloalbum und Die Wolke,tut gut daran, sich auf die Dreiecksgeschichte zwischen Ada, Alev und Smutek zu konzentrieren und die überbordende rechtsphilosophische Metaebene des Romans zu vernachlässigen. Die 345 Seiten, die der Roman braucht, um den gesellschaftstheoretischen Überbau aufzuziehen, lässt Schnitzler links liegen. Stattdessen schafft er einen stimmungsvollen Thriller über das Erwachsenwerden zweier brillanter Außenseiter, deren Intelligenz und Skrupellosigkeit erst ihr soziales Umfeld und am Ende sie selbst in Schwierigkeiten bringt. Die Besetzung ist gelungen und überraschend. Viele Gesichter kennt man aus dem deutschen Fernsehen, alle Hauptdarsteller spielen oder spielten schon im Tatort. Dass Alev mit dem blassen und immer etwas zu schnöseligen Jannik Schühmann besetzt wurde, obgleich die Figur iranisch-französischer Herkunft sein soll, stört keineswegs. Gut getroffen ist auch Maximilian Brückner, der seinen polnischstämmigen Deutsch- und Sportlehrer Szymon Smutek höchstens mit ein wenig mehr Melancholie hätte ausstatten können. Stattdessen schenkt er seiner Figur eine gehörige Portion bad ass-Charakter, die dem braven Menschenfreund Smutek gut tut. Ulrike Folkerts überzeugt als manikürte, herausgeputzte Alkoholikerin und Mutter von Ada. Viel zu sehr hat man sich an die spröde Lederjackenkommissarin aus dem Ludwigshafener Tatort gewöhnt, die sie seit gefühlten 50 Jahren gibt. Vor allem aber Michelle Barthel mit ihrer markanten Stimme und ihrem spröden Charme ist ein Glücksfall für die Ada. "Ada ist eine einsame Figur und hat niemanden in ihrem Umfeld, in dem sie sich wiedererkennt", erklärt die 20-jährige Michelle Barthel im Interviev mit ZEIT ONLINE ihre Rolle. Ihre Ada ist sympathischer geraten als die Buchfigur. "Hinter dieser kalten und verhärmten Ada habe ich ein Mädchen gesehen, dass ganz stark fühlt: Ich bin anders, ich denke anders und ich will etwas anderes im Leben als ein schickes Haus in der Vorstadt", sagt die Schauspielerin. "An Alevs Seite fühlt sie sich das allererste Mal richtig. Er macht sie als erster Mensch überhaupt sprachlos." Jeder Mensch durchlebe im Leben eine Ada-Phase, sagt Barthel: "Man muss sich all diese Fragen stellen: Was will ich, wofür stehe ich und womit bin ich am glücklichsten? Gehe ich den Weg, den viele gehen, oder will ich lieber etwas Eigenes machen?" Die Dialoge klingen wie auf der Theaterbühne Leider lässt Schnitzler seine Figuren zum Großteil Originalzitate des Buches sprechen. Besonders die Sprache von Ada und Alev wirkt gestelzt und so, als stünden die beiden immer mindestens drei Meter voneinander entfernt auf einer Theaterbühne. Oft klingen ihre Dialoge nicht geistreich, sondern auswendig gelernt. Die vielen Buchzitate sind wohl der Beratungsfunktion Juli Zehs geschuldet, die den Autoren Kathrin Richter und Jürgen Schlagenhof bei der filmischen Umsetzung des Romans behilflich war. Mehr Mut zur Überarbeitung der Dialoge hätte dem Film auf jeden Fall gut getan. Dennoch ist Spieltrieb wirklich gute Unterhaltung. Der Film hat eine eigene Bildsprache gefunden (Kamera: Andreas Berger, Szenenbild: Angelica Boehm), die Atmosphäre ist zugleich idyllisch und bedrohlich. Geräusche, besonders das Atmen, wurden häufig nachsynchronisiert. Mit der Gesellschaftskritik des Buchs hält sich Schnitzler nicht auf und das ist gut so. Alev und Ada sind keine Prototypen eines gewinnorientierten und hyperindividualistischen Menschen, wie sie es im Roman sein sollen, sondern zwei Schüler, die Lust auf Machtspielchen haben und noch nicht so genau wissen, wer sie sind und was sie wollen vom Leben. Ada und Alev nennen sich die "Urenkel der Nihilisten" - auch die Fähigkeit, an etwas nicht glauben zu können, haben sie abgelegt. Recht und Unrecht sind für sie zu zwei beliebigen wertfreien Kategorien zerfallen, mit denen zu spielen der einzig spaßversprechende Nutzen ist. Sie begreifen ihr Dasein als Diskursrennen: Gewinnen wird, wer die besseren Argumente hat. Eltern und Lehrer akzeptieren Alev und Ada nicht und auch nicht das Wertesystem, das diese ihnen vermitteln wollen. In Spieltrieb quälen Schüler ihre Lehrer. Sie erteilen den Wertevermittlern unserer Gesellschaft eine Lektion. Und hier steckt dann vielleicht doch ein Rest wohldosierter Gesellschaftskritik, die Schnitzler aus dem Roman übernommen hat: Erkenne dich selbst, ist die Kernbotschaft der Geschichte. In der Schule kann man das nicht lernen. Copyright © Anne-Sophie Balzer, Zeit-online.de, 7.10.2013 . . . . . Robert Musil trifft auf Global Player Verführung, Macht, Leidenschaft, Erpressung, darum geht es in Gregor Schnitzlers subtilem philosophischem Psychothriller nach dem gleichnamigen Roman von Juli Zeh. Ein Schülerdrama als Spiegel unserer Gesellschaft. Die Welt steht Kopf, das signalisieren schon die ersten Bilder des Films. Bis zu diesem Tag war die hochintelligente 15-jährige Ada (Michelle Barthel) überzeugte Außenseiterin, sie hat zwei Klassen übersprungen, wird von den Mitschülern verhöhnt, gequält, erniedrigt. Ihr Leben verändert sich, als Alev (Jannik Schümann) zum ersten Mal den Klassenraum betritt. Ironisch-süffisant, ungeheuer attraktiv, ein brillanter furchtloser Rhetoriker, so präsentiert er sich. Attitüde ersetzt Charakter. Alev, französisch-iranischer Abstammung, hat Schulen in den verschiedensten Ländern besucht, glänzt in der Rolle des erfahrenen selbstbewussten Kosmopoliten. Der 18-Jährige versteht sich darauf zu provozieren wie zu manipulieren, das gutbürgerliche Bonner Ernst-Bloch Gymnasium scheint die perfekte Bühne für seine teuflischen Pläne. Ada ist hingerissen von ihm wie alle anderen Mädchen. Sie glaubt in dem professionellen Zyniker einen Gleichgesinnten gefunden zu haben. Ähnlich wie Robert Musils "Der Mann ohne Eigenschaften" hält sich Ada weniger für ein Einzelwesen als für ein Zeitgeistdestillat. “Unanfechtbarkeit. Das Geheimnis bestand darin, nichts weiter zu tun, als jene Fähigkeit zu genießen, mit der die Natur sie am großzügigsten ausgestattet hatte: die Gleichgültigkeit der eigenen Existenz gegenüber, “ heißt es bei Juli Zeh. Eigentlich beginnt diese ostentative Indifferenz sich grade in dem Moment aufzulösen, als Ada wirkliche tiefere Gefühle für den Jungen entwickelt, doch um die Wertschätzung ihres Mitstreiters nicht zu verlieren, macht sie notgedrungen weiter auf cool. Alev will ein Exempel statuieren. Während im Unterreicht diskutiert wird, ob ein Staat sich im Namen der Freiheit in die Politik eines anderen einmischen darf, beschließt er den Deutsch- und Sportlehrer Smutek (Maximilian Brückner) aus dem selbstgebastelten Gefängnis seiner profanen Existenz zu befreien. Ein angeblich perfektes Opfer, da noch in der alt hergebrachten Werteordnung verfangen: Für Smutek, aus Polen geflohen, haben Begriffe wie "Ehre", "Vaterland", "Familie" eine Bedeutung. Er will es allen recht machen, Ehefrau, Kollegen, Vorgesetzten. Dafür empfinden die jugendlichen Protagonisten nur Verachtung. Als Nihilisten kritisiert, entgegnet Alev: "Die Nihilisten glaubten immerhin, dass es etwas gebe, an das sie NICHT glauben konnten." "Wir" ergänzt Ada, "sind die Urenkel der Nihilisten". Alev, der Dandy, kokettiert überall mit seiner sexuellen Impotenz, er lässt niemanden an sich heran, lächelt nur über das romantische Konzept der Liebe, nichtsdestotrotz reizt ihn die Intelligenz der rebellischen, kratzbürstigen 15-Jährigen. Er: Ich bin ein Spieler, Kleines. Sie: Spielst Du mit mir oder gegen mich? Er: Wirkliche Liebespaare sollten miteinander spielen. Sie: Was für ein Spiel ist das? Er: Ein Spiel, für das man stark sein muss. Ada soll den ahnungslosen Lehrer, der nach dem Selbstmordversuch seiner Frau grade mitten in einer Ehekrise steckt, in der Turnhalle verführen, Alev filmt sie aus einem Versteck. Von nun an erpresst er Smutek immer wieder mit seiner Schülerin Sex zu haben, er und seine Kamera sind immer dabei. Irgendwann eskaliert die Situation, das Spiel wird blutiger Ernst. Kaum eine andere talentierte deutsche Autorin musste sich manchmal so harsche Kritik gefallen lassen wie Juli Zeh. Mit Genuss zitiert sie oft selber auf dem Podium ihre Gegner: "apokalyptisch altkluge Angeberin und Schwallmadame" (Titanic), doch die positiven Rezensionen überwiegen mit Abstand. Die atemberaubende plastische Bildhaftigkeit des fast 600 Seiten starken Bestsellers lässt sich schwer in einem Film umsetzen. Aber Regisseur Gregor Schnitzler ("Die Wolke", "Soloalbum", "Resturlaub") hat Erfahrung mit Romanadaptionen, er konzentriert sich auf den zentralen Konflikt, die Entstehung der perfiden Dreiecksbeziehung, löst sich weitgehend vom philosophischen Überbau, übernimmt nur wenige entscheidende Dialoge, der oft zitierte Robert Musil bleibt auch hier geistiger Mentor der Protagonisten. Smutek wird zur eher unbedeutenden Nebenrolle degradiert, die Ada auf der Leinwand ist um vieles empfindsamer, weniger radikal als im Roman. Sie sehnt sich nach ganz normaler körperlicher Nähe, aus der Überzeugungstäterin wird nun ein verliebtes Mädchen auf der Suche nach sich selbst. Alev ist nicht nur ihr dämonischer Verführer sondern am Ende auch ihr Befreier. Der Film fasziniert durch die Wechselwirkung von stylish kühlen Bildern und literarisch ausgefeilten Wortgefechten. Der Ausflug in einen altmodisch rotplüschigen Strip-Club erinnert an Stanley Kubricks "Eyes Wide Shut", die intensiven Rottöne an Altmeister Rainer Werner Fassbinder. Eine erste Einstimmung auf das monströse Experiment seiner Antihelden: die jungen Stripperinnen tragen Masken. Jeder versteckt sich hinter einer Fassade, Institutionen, Moral, Pragmatismus, Klassendünkel oder eben den Überzeugungen des Mannes ohne Eigenschaften. Jedes Spiel ist auch ein Doppelspiel. Alev fordert gekonnt Adas Eifersucht heraus durch sein Techtelmechtel mit einer blonden wunderhübschen Klassenkameradin. Menschen sind für ihn nur Mittel zum Zweck. Oder vielleicht auch nicht. "Spieltrieb" steht in der Tradition der klassischen Schülertragödien wie Frank Wedekinds "Frühlings Erwachen" (1891), Ferdinand Bruckners "Krankheit der Jugend" (1926) und Ödon von Horvaths "Jugend ohne Gott" (1937). Dort heißt es in einem Gespräch zwischen zwei Lehrern über die ihnen völlig fremd gewordene Generation: "Sie lesen alles. Aber sie lesen nur, um spötteln zu können. Sie leben in einem Paradies der Dummheit, und ihr Ideal ist der Hohn." Das klingt ganz nach Alev und Ada. Doch die beiden gehen im 21. Jahrhundert noch weiter, lassen alle moralischen Werte hinter sich, akzeptieren kein Tabu. Sie sind nicht Opfer sondern Täter. Das Glauben als solches ist verpönt, woran auch immer. Ada: "Wahrscheinlich bin ich ohne Glauben zur Welt gekommen, wie andre ohne Arme oder Augenlicht geboren werden." Sie spürt durchaus noch menschliche Regungen, doch sie unterdrückt sie ganz bewusst. So was ist für Dummköpfe oder Schwächlinge. Juli Zeh sieht Alev und Ada als Prototypen des modernen Menschen an sich, nicht unbedingt als Jugendliche. Die Schule lediglich als eine Metapher für die Gesellschaft. Aber dann wurde das Buch viel an Schulen gelesen, und die Autorin hörte, dass sich manche sehr gut mit ihren Protagonisten identifizieren können. "Charakteristisch ist das Gefühl, nicht mehr in einer festgefügten Werteordnung zu leben. Die Welt ist durchökonomisiert, von Kapitalismus und Konsum bestimmt." Als sie "Spieltrieb" schrieb, wusste sie noch nichts von der bevorstehenden Finanzkrise. "Inzwischen reden wir von "Zockern" und "Global Playern" und wissen, dass der Spieltrieb in einer global vernetzten Welt ganze Volkswirtschaften in Gefahr bringen kann" ergänzt sie. "Alles wird dem Prinzip der Effizienz untergeordnet. Viele Schüler erzählen mir, dass sie ohne Hoffnung und Neugier in die Zukunft schauen. Sie haben den Eindruck in einem Kriegszustand zu leben, wo es nur um Konkurrenz und Fortkommen geht und wo die Schwächeren auf der Strecke bleiben." Der Film funktioniert, weil die beiden Hauptdarsteller sich in ihrer Gegensätzlichkeit perfekt ergänzen. Sie garantieren für den ironischen Unterton des ungewöhnlichen Coming-of-Age-Epos. Grandios wie Michelle Barthelle als Ada sich an ihre philosophisch prätentiöse Patzigkeit klammert, aggressiv und scheu zugleich, muskulös und zerbrechlich. Sie ist ein Widerspruch in sich, ein Kind, dass früh erwachsen werden musste, weil die Erwachsenen um sie herum sich wie Kinder aufführen, besonders ihre Mutter (Ulrike Folkerts). Die einzige moralische Instanz in Adas Leben und dem Film ist der körperlich behinderte Lehrer Höfi (Richy Müller) nur er war jederzeit ihrem Sarkasmus gewachsen, kontert mit gleicher Schärfe, beschützt sie liebevoll vor dem Unverständnis der anderen. Als seine schwerkranke Frau stirbt, nimmt er sich das Leben. Jannik Schümann gelingt es dem dubiosen narzisstischen Alev noch eine tragische Dimension zu geben. Er ist der eigentliche Verlierer in diesem Spiel. Copyright © Anna Grillet, Kulturport.de, 8.10.2013 . . . . . Erkenne und befreie Dich selbst! In Juli Zehs Roman "Spieltrieb" sucht sich eine intellektuelle Überfliegerin selbst und findet sich in den Katastrophen, die sie selbst mit auslöst. In der sehenswerten Verfilmung brillieren mit Michelle Barthel und Jannik Schümann zwei der aufregendsten und vielversprechendsten Jungschauspieler Deutschlands. Sapere aude! Kants berühmte Übersetzung dieser knappen Aufforderung Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! wird in Juli Zehs Roman Spieltrieb: Roman zum Motto der Schlüsselperson, der 15-jährigen, hochbegabten Ada. In Gregor Schnitzlers Verfilmung, die in dieser Woche in die deutschen Kinos kommt, ist man besser bei der wörtlichen Übersetzung des lateinischen Zitats aufgehoben, die mit Wage dich, vernünftig zu sein! an das Wagnis erinnert, das mit dem Mut einhergeht. Denn für die Einzelgängerin Ada (Michelle Barthel) ist es tatsächlich ein Wagnis, dem eigentlich unnahbaren, mit dämonischen Zügen ausgestatteten Alev (Jannik Schümann) zu befreien. Denn Ada fühlt sich zu ihm hingezogen, auch wenn er selbst angibt, keine Liebesbeziehung eingehen zu können. Juli Zehs Erfolgsroman ist eine Vorlage, die es in sich hat. Neben Fragen der Spieltheorie und des Spieltriebs geht es vor allem um Pragmatismus und Nihilismus. Ada und Alev entwirft sie in ihrem Roman als "Urenkel der Nihilisten", die nichts mehr haben, woran sie glauben oder nicht glauben können. Es gibt nichts mehr neben dem pragmatischen Leben, da dem Menschen "die Ideen ausgegangen" sind. Ideologien, Religionen, Menschenrechte oder Demokratie sind in Zehs Roman abwesend, zentrale moralische Werte ebenso anwesend wie abwesend. Gregor Schnitzler hat diese Geschichte nun verfilmt. Ada und Alev - beide am privaten Elitegymnasium Ernst-Bloch in Bonn - pflegen von Anfang an eine ungleiche Beziehung. Ada ist die Überfliegerin der Klasse. Sie liest in ihrer Freizeit Musil, Dostojewski und Sartre, und macht sich als heranwachsende Existenzialistin über Blochs "Prinzip Hoffnung" - und damit auch über eine nicht-irdische Gotteshoffnung - lustig, während sich ihre Mitschülerinnen mit der Gala auseinandersetzen. Ihre spröde Intellektualität - im Film nicht genauso radikal ausgearbeitet wie in der Romanvorlage - führt zu ihrer selbstgewählten Isolation. Sie will nicht zu der sich bietenden Oberflächlichkeit dazugehören. Dass sie wie die meisten Mitschüler nicht aus besseren Verhältnissen kommt, der Vater das Schulgeld nicht zahlt und die Mutter ihre gescheiterte Ehe trinkend zu bewältigen versucht, steigert ihre Sonderposition. Einzig ihre außerordentlichen Leistungen rechtfertigen noch ihren Verbleib an der Schule. Alev hingegen kommt aus besten Verhältnissen. Seine Biografie leuchtet mit fünf Auslandsaufenthalten, mit seinem noblen Kleidungsstil fällt er aus dem Klassendurchschnitt heraus. Seine Leistungen allerdings sind so miserabel, dass sein Schulverbleib nur mit den Finanzen seines Diplomatenvaters zu erklären ist. In Gefahr bringt er seinen Schulaufenthalt auch durch sein flegelhaftes Benehmen an der Schule. Herablassend, aber nicht unklug kommentiert er die Ansagen seiner Lehrer, die dem Eleven zum Teil hilflos gegenüber stehen. Als Atheist ("Wahrscheinlich bin ich ohne Glauben zur Welt gekommen, wie andere Leute ohne Arme oder Augenlicht geboren werden") lehrt er sie mit seinen hoffnungsfreien Kommentaren das Fürchten. Nur einer kann es mit ihm aufnehmen, der kriegsversehrte Philosophielehrer Höfi (Richy Müller), ein Skeptiker und Zyniker vor dem Herrn. Gegen dessen kritische Stimme vermag nicht einmal Alev wirklich anzukommen. Die Komplementärfigur zu dem "Krüppel" ist Deutsch- und Sportlehrer Smutek (Maximilian Brückner), ein aus Polen stammender Adonis, der in katholischen Familienverhältnissen lebt und den jede kritische Stimme ins Schwanken bringt - eine Einladung für Alev. Der allerdings will es nicht bei Provokationen belassen, sondern den Lehrer in eine perfide Intrige verwickeln. Sein Spieltrieb ist geweckt. Ada kennt als einzige seine Theorie vom Spieltrieb, die besagt, dass alle Handlungen des Menschen Spielhandlungen sind. Alevs Ziel ist es, die Menschen wie Spielfiguren zu steuern und zu manipulieren - sein Mittel heißt Ada, sein Opfer Smutek.
Zuweilen fühlt man sich in diesem Film mit seiner ebenso intellektuellen wie jugendlich-wilden Atmosphäre und der Internatssituation im besten Sinne an Peter Weirs "Club der toten Dichter" erinnert. Jannik Schümann spielt den gefühlskalten, nihilistischen und in seiner abgrundtiefen Gemeinheit badenden Alev in grandioser Manier und verleiht dieser faustischen Figur soviel Tiefe und Glaubhaftigkeit, dass sie einem unter die Haut kriecht. Seine Schauspielkunst trägt dazu bei, dass hier sämtliche bürgerlichen Moralvorstellungen ins Nichts gekippt werden können, ohne dass es aufgesetzt wirkt. Michelle Barthel gibt ihrerseits der Spielkameradin Alevs eine Zartheit und Verletzlichkeit, die man aus Juli Zehs Roman so nicht kennt. Umso höher ist der Aufstieg, den die Protagonistin in dieser Coming-of-Age-Geschichte. Sie ist es schließlich, die diesem Drama selbst ein Ende setzt, wenngleich dies das direkte und gewaltsame Aufeinandertreffen der zwei Männer in dieser Dreieckskonstellation nicht verhindert. Erst hat Ada ihren Lehrer Smutek auf Geheiß Alevs verführt, dann befreit sie sich von beiden und findet sich selbst. © 2013 Concorde Filmverleih GmbH Die Moral von der Geschichte liegt nicht in der Auseinandersetzung von Smuteks konservativ-kleinbürgerlicher Welt und Alevs kühler, gottabgewandter Einstellung, sondern im Reifeprozess von Ada, die erst dem einen verfällt und sich dann mit der Erfahrung der Begegnung mit dem anderen vom ersten befreit, ohne sich im nächsten aufzugeben. Sie lässt sich von zwei Männern manipulieren, löst sich aber wieder von ihnen und findet ihre Eigenständigkeit. Der Prozess, den sie im Laufe der Geschichte durchmacht, lässt sich mit dem apollonischen Kernsatz "Erkenne Dich selbst" am besten auf den Punkt bringen. Sie lernt, dass Menschen das Recht haben, so zu leben, wie sie wollen und sich so zu lieben, wie sie sind. Gregor Schnitzler ist mit seiner Verfilmung gelungen, was nicht vielen Regisseuren gelingt. Der Kinofilm Spieltrieb bewegt sich mit der phänomenalen Romanvorlage aus der Feder von Juli Zeh in weiten Teilen auf Augenhöhe. Besser als der Roman konnte er ohnehin nicht werden. Copyright © Thomas Hummitzsch, diesseits.de, 8.10.2013 . . . . . "Spieltrieb": Außergewöhnlich manipuliert Mit den Familienverhältnissen stimmt es nicht so recht, doch materiell gesehen fehlt es ihnen an nichts. Die Jugendlichen in Gregor Schnitzlers Verfilmung des Romans "Spieltrieb" von Juli Zeh sind nicht Vertreter einer Lost Generation, sondern vielmehr einer übersättigten Bored Generation. Langeweile spricht aus ihren oft ins Leere starrenden Gesichtern und ist letztlich Motivation, in das Leben und Schicksal Anderer manipulativ einzugreifen. Der 18-jährige Alev (dämonisch gut: Jannik Schümann) ist stets schick angezogen und gut frisiert. Die Gymnasialklasse, in die er als der Neue kommt, liest gerade Musils "Mann ohne Eigenschaften" als Lektüre und ebenso beschreibt der hochintelligente und respektlose junge Mann sich selbst: "Gute Eigenschaften? Keine. Schlechte Eigenschaften? Auch keine." Der geborene Anführer und die gemobbte 15-Jährige: Er ist der geborene Anführertyp, wirkt anziehend - vor allem auch auf die 15-jährige Ada (überzeugend: Michelle Barthel), eine gemobbte Einzelgängerin, die aufgrund ihrer Intelligenz zwei Klassen übersprungen hat. Alev überredet Ada, gemeinsam ihre intellektuelle und schlagfertige Überlegenheit gegenüber den Lehrern und besonders gegenüber dem Sportlehrer auszuspielen: Ada soll den verheirateten Mann verführen, während Alev alles filmt, um den Pädagogen dann mit den Aufnahmen erpressen zu können. Regisseur Schnitzler zeigt eine Randgruppe einer Jugendgesellschaft, die ohne Ziel und Hoffnung existiert. Ihr nihilistisches Dasein ist von einem Mangel an Gefühlen geprägt, Liebe kennen sie nicht und sie glauben an nichts. Ein Unrechtsempfinden fehlt. Abgründige Ideen im Umgang mit anderen Menschen bieten als Thrill eine fast rauschhafte Befriedigung für sie: rücksichtslose "Spiele", die für Andere bis zum Selbstmordversuch oder zum Ruin führen können. "Spieltrieb" spiegelt eine kulturlose Subkultur, die ohne Rücksicht auf Verluste ihre eigene Daseinsberechtigung zu beweisen versucht. Für Moralität ist da kein Platz, persönliche Perspektiven erkennen die Protagonisten nicht und suchen sie auch nicht. Die bittere Erkenntnis drohenden Versagens seitens der Gesellschaft bleibt, obwohl es sicherlich um krasse Einzelfiguren geht. Angesichts der Komödienflut einer der außergewöhnlichsten deutschen Filme in jüngster Zeit. Copyright © Klaus Dammann, Südwest Presse, 10.10.2013 . . . . . Jung, klug, schön und hundsgemein Tatort Schule: Gregor Schnitzler setzt Juli Zehs Roman "Spieltrieb" als Kammerspiel von theatralischer Klarheit um. Er zeigt die teuflische Verführungskraft eines jungen Mannes, der sich außerhalb der moralischen Normen bewegt. Das Wort "intensiv" fällt nicht selten, wenn über Filme gesprochen wird. Es dient der Beschreibung von Momenten, die das Mitfühlen und -denken des Zuschauers konzentrieren. Für die Verfilmung des Romans "Spieltrieb" von Juli Zeh trifft es in besonderer Weise zu. Der Film lenkt nicht nur den Blick auf eine unmögliche Beziehung zwischen einer Minderjährigen und ihrem Lehrer. Er zeigt gleichzeitig die teuflische Verführungskraft eines jungen Mannes, der sich außerhalb der moralischen Normen bewegt. Handlungsort ist eine Schule. Die 15-jährige Ada hat zwei Klassen übersprungen und landet an ihrem Elite-Gymnasium unter lauter - wie sie selbst sagt - Prada- und Gucci-Models. Mit der Oberflächlichkeit dieser Mädchen kann sie nichts anfangen. Und die Jungen mobben sie als unbekanntes Objekt, als Intelligenzbestie. Die Schauspielerin Michelle Barthel sieht mit ihrem runden Gesicht jünger aus als die Mitschülerinnen, sie spricht mit leicht quietschiger Stimme aus dem Off, ordnet romangetreu die Lage des Mädchens ein. Doch sobald sie sich im Unterricht äußert, merkt man, dass sie reifer ist als die anderen. Sie wird noch weiter wachsen im Laufe dieser Coming-of-Age-Geschichte. Als Alev neu in die Klasse kommt, entdeckt sie einen Verwandten. Auch er hat etwas Besonderes, nicht nur, weil er in verschiedenen Ländern aufgewachsen ist und eine selbstbewusste Schönheit ausstrahlt. Jannik Schümann spielt ihn so, dass sich nicht einmal die Lehrer seiner Ausstrahlung entziehen können. Einzig der Geschichtslehrer Höfi, von Richy Müller berührend als erfahrener Alter interpretiert, vermag aus den Wortgefechten mit ihm als Sieger hervorzugehen. Höfi ist ein Mann mit Prinzipien, doch von Krankheit gezeichnet. Dagegen erscheint der junge Sport- und Deutschlehrer Smutek (Maximilian Brückner) als weicher Typ, oft um die richtige Antwort verlegen. Dass er Ada mag, ist unübersehbar. Alev füttert Ada so lange mit kühler Freundlichkeit an, bis sie ihm folgt. Nicht brav wie ein Hündchen - sie glaubt sich als gleichberechtigte Partnerin. Endlich hat sie einen Verbündeten. Denn ihr Vater taucht nur in hasserfüllten Sätzen der Mutter auf; die Mutter ertränkt ihr Selbstmitleid in Alkohol. Ada ist zu jung, um zu glauben, dass der bewunderte Alev ein falsches Spiel spielt. Sie lässt sich darauf ein, Smutek zu erpressen, weil Alev sein Vorhaben in philosophisch klingende Sätze über innere Bestimmung und menschliche Natur kleidet. Praktisch nutzt er dazu eine Kamera, das Internet und Adas weibliche Reize. Gregor Schnitzler inszeniert die Szenen um die Jugendlichen und den Lehrer als Kammerspiel von theatralischer Klarheit. Sogar die Atemgeräusche wirken dosiert - wenn Ada durch den Wald joggt genauso, wie wenn sie Smutek in die leere Turnhalle lockt. Chronologisch folgt der Film dem Geschehen, so nimmt die Dramatik beklemmend zu. Schnitt und Musik scheinen dem Genre des Thrillers entlehnt, alles steuert auf einen Knalleffekt hin. Doch dann wird noch weiter erzählt - wie im Roman. Es gibt ein juristisches Nachspiel, das die Beteiligten auf den Mikrokosmos Schule zurückwirft. Die durch den Film im Bild längst aufgeworfenen moralischen Fragen werden ausgesprochen. Die Schule ist eben auch ein Experimentierfeld der Gesellschaft mit Regeln für den Umgang von Menschen mit Menschen. Copyright © Cornelia Geissler, Berliner Zeitung, 10.10.2013 . . . . .
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