Münchner Volkstheater 2003 - 2004
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Premiere am 16. April 2003
Hineinknechten in die Tragödie Heute Premiere: Wie Volkstheater-Intendant Christian Stückl die "Räuber" inszeniert. Er raucht zu viel. Viel zu viel, so viel, dass selbst der Kellner im Volksgarten dazu eine Bemerkung macht, wenn er kopfschüttelnd den überfüllten Aschenbecher wegräumt. Da ist Christian Stückl schon längst enteilt, zur Beleuchtungsprobe, wie er überhaupt den ganzen Probentag nur kurz unterbrochen hat für dieses Gespräch. Für ein Gespräch über Schillers "Räuber", das, wenn alles planmäßig verlaufen wäre, gar nicht Christian Stückl selbst führen würde. Aber am Theater ist es mit Plänen nunmal so eine Sache. Nun ist es ja keineswegs so, dass Stückl, seit er die Intendanz am Volkstheater übernommen hat, generell ein beschauliches Leben führte. Dazu lebt er viel zu symbiotisch mit dem Theater. Im Zuge dieser Symbiose kam es nun, dass er Schillers "Räuber" inszeniert. Denn eigentlich sollte dies Marco Kreuzpaintner machen. Den hatte Stückl mal in einer Kneipe kennen gelernt. Und als damals nach langem Reden die Frage kam, was der andere denn so mache, da stellte sich heraus, dass sich gerade zwei Regisseure unterhielten. Der eine hatte ein Theater, der andere machte Filme. "Ganz und Gar" ist auch der Grund, weshalb die theatrale Zusammenarbeit erstmal auf unbestimmte Zeit verschoben ist. Denn Kreuzpaintners Film kommt im April ins Kino, und da man Film oder Theater nur ganz oder gar nicht, aber nicht nebeneinander machen kann, stockte die Arbeit, und der Intendant tat, was ein Intendant tun muss: Er übernahm die Produktion. Ein Vorgang, der bei Intendanten, die mit jungen Regisseuren zusammen arbeiten, kein seltener ist. So ist auch Stückls Antwort, wenn man ihn fragt, ob er sich für seinen ersten Schiller nicht angenehmere Bedingungen hätte vorstellen können: Darüber habe er nicht nachgedacht. Falls er da leise Wehmut empfindet, ist sie gut versteckt. Die Bedingungen also waren: in drei Tagen eine eigene Strichfassung zu erstellen, in der selben Zeit ein neues Bühnenbild entwerfen zu lassen, die Premiere um zwei Wochen zu verschieben, damit man wenigstens fünf Wochen proben kann, und aus jungen Schauspieler-Köpfen vier Wochen Kreuzpaintner wieder herauszubringen. Denn als Intendant lässt man einen Regisseur machen. Man hängt also nicht auf dessen Proben herum. Man kann dann auch nicht in dessen Kopf hineinkriechen und es sich dort gemütlich machen. Kreuzpaintner dachte die "Räuber" von der Räuber-Gang her, rekurrierte immer wieder auf sie als geschlossene, homogene Gruppe, untersuchte die Freundschaftlichkeit, die Nähe dieser Gesetzlosen im Böhmerwald. Stückl sah eine Familientragödie vor sich, die Geschichte vom Erstgeborenen, dem der Zweite alles neidet, die Frau, die beide lieben, den Vater, der auch ganz physisch am Hass zwischen Franz und Karl zugrunde geht. Die Horde der Räuber interessierte ihn als Spiegel der Unmöglichkeit für Karl, seine Ideale durchsetzen zu können in einer auseinander driftenden Gruppe von Verbrechern und Mördern, die auch über Kinder- und Frauenleichen gehen. Bald sehnt sich Karl zur Familie zurück. Zwei Welten; im Volkstheater werden es die zwei Hälften einer Drehbühne sein. Im Grunde stand Stückl am Beginn einer Neuinszenierung unter erschwerten Bedingungen. Zwar behielt er die Besetzung bei, aber die Schauspieler mussten auf einmal Passagen, die sie gerade gelernt hatten, sofort vergessen, um statt dessen andere zu lernen. Dieser Vorgang des Vergessens, auch der des Löschens aus dem Gedächtnis des Körpers dauerte etwa eine Woche. Dann konnte Stückl mit der eigentlichen Arbeit beginnen, konnte den Schauspielern die schillernde Schillersprache, die Überschwänglichkeit dieses stürmenden und drängenden Erstlingswerks näher bringen. Da will er hin: dass von der Struktur her, von der Erzählung her die Worte selbstverständlich werden, nicht hohles Pathos bleiben. Gerade gegen Ende "türmt Schiller einen Lehrsatz auf den anderen", und vielleicht weil manches für heutiges Verständnis ausgedient haben mag, dürfe man keine Angst vor der Sprache haben. Stückl hätte es sich auch leicht machen können, alles Sperrige rausschmeißen, vielleicht gar den ganzen letzten Akt, der ja mit Schillers Verbeugung vor der Zensur endet, wenn der Räuber-Moor sich selbst dem System der Obrigkeit überantwortet: "Dem Manne kann geholfen werden." Doch das wollte er nicht. Er wollte sich hineinknechten in die Tragödie, ihr ihre vielschichtige Gestalt belassen, genau den Grat zwischen Künstlichkeit und Unmittelbarkeit beschreiten. Am Anfang ist der Familienkonflikt ja scheinbar klar und nachvollziehbar; zusehends jedoch entwickeln die Handlungen von Franz und Karl eine Eigendynamik. Beide finden nicht mehr aus dem Unheil heraus, das sie angerichtet haben. Ein generelles Problem des Stückes – was ja auch nur ein schwacher Trost für jeden Regisseur ist. "Die Räuber" werden die vorletzte Inszenierung in dieser Saison am Volkstheater sein. Im Juni folgt noch "Romeo und Julia", inszeniert von Nuran Calis. Dann wird man sehen, ob das erklärte Ziel des Intendanten Stückl aufgegangen ist. Momentan liegt man mit knapp 70 Prozent Auslastung ungefähr da, wo sich Ruth Drexel am Ende ihrer Intendanz befand. Zehn Prozent mehr sollen es noch werden, schon allein weil das Theater, das 20 Prozent seines Etats selber trägt, von der Stadt praktisch nur die Fixkosten bezahlt kriegt. Den künstlerischen Etat erwirtschaftet man selbst. Freilich wird die nächste Saison etwas entspannter werden - auch wenn ein Problem, das einer funktionstüchtigen kleineren Bühne, nicht gelöst werden wird. Die große ist fast so groß wie die Kammerspiele. Manches geht da einfach nicht. Drei große Produktionen plant man zu übernehmen. Entspannen wird das Stückl nicht. Rauchen wird er, wenn überhaupt, vielleicht nur ein bisschen weniger. Egbert Tholl, Süddeutsche Zeitung, 16. April 2003 - Für die volle Grösse die Photos anklicken -
Die Räuberbande in
ihrer Höhle
Wo die wilden
Kerle hausen"Schau mich bitte nicht so an ..." Der Schlager als Leitmotiv. Will er als Warnung oder als Bitte verstanden sein? Immerhin hat Christian Stückl so ziemlich ad hoc die Regie zu Friedrich Schillers Jugendwerk "Die Räuber" übernommen. Und wenn er die Jungs um Anführer Karl singend und per Rutschbahn auf die Bühne flutschen lässt, dann wissen wir, wo die wilden Kerle hausen: im Münchner Volkstheater an der Brienner Straße. Grund genug, sie sich doch "so" anzuschauen. Das Schöne an den Arbeiten Stückls: Er schert sich nicht um aktuelle Ästhetiken, nicht um intellektuelle Interpretationen. Furchtlos spielt er die Texte, wie sie sich ihm darbieten. Den Intendanten des Münchner Volkstheaters beherrscht eine vitale Lust am Erzählen von Geschichten. Dazu gesellt sich unbändiges Vergnügen an der naiven Wiedergabe selbst der allergrößten Unglaublichkeiten. Und durchaus auch, wenn's einen witzigen Einfall gilt, eine gewisse Wurstigkeit gegenüber Genauigkeit und Logik. Ungestüm und Klamotte Das führt mitunter zu recht unebenen Ergebnissen. So schwankt auch diese Inszenierung zwischen szenischem Ungestüm, idealistischem Weihespiel und Provinzklamotte, wie man sie kaum jemals zu sehen glaubte. Kurz: Stückls "Räuber" waren, will man nicht gar so puristisch sein, als sentimentales Rührstück ein vom Premierenpublikum einhellig gefeierter, kapitaler Spaß. Gegeben werden natürlich nicht "Die Räuber" aus dem 18. Jahrhundert. Im Münchner Volkstheater spielen sie in den 70er-Jahren des zwanzigsten. Das Haus Moor: ein geschmacklos unsympathischer Salon mit Kitschkamin und Schäferhund-Skulptur. Der Hort der Rebellen: eine Billig-Bar mit Pin-up-Fotos. Beide sind auf einer Drehscheibe installiert. Sie garantiert schnellen, fließenden Wechsel und gibt dem Ganzen zumindest in den ersten 90 Minuten eine gewisse Atemlosigkeit, die der Aufführung gut bekommt. Vater Moor - Erich Ludwig schmeißt sich mit pathetischer Wucht in diese Rolle - ist ein alter Dandy, der sich an "Don Giovanni"-Platten berauscht, am Ende aber als Höhlenmensch hemmungslos verkommt zu längst tot geglaubtem Knattermimentum. Sein Sohn Franz: als schwuler Bösling, altes Kind und schamlos selbstverliebter Entertainer wahrhaft eine Kanaille; von Florian Stetter bemerkenswert gut gespielt. Und Karl, dieser Räuberhauptmann aus Idealismus, den Maximilian Brückner tapfer vor jedem klassischen Heldentum bewahrt wie auch vor allen Reizen des Liebhabers: ein spackes, eitles Adelsbürschchen, weltfremder Schöngeist und Terrorist. Natürlich sind seine Kumpane nicht bloß kleine Gauner, die am Ende aus Moors Salon schon mal ein paar Sachen mitgehen lassen. Sie sind zu allererst sozusagen Bilderbuch-Terroristen, denen im Untergrund plötzlich lange Bärte wachsen. Womit sie bei Stückl also irgendwo zwischen Al-Kaida und Oberammergau angekommen sind. Völlig heraus fällt aus dieser Clique Spiegelberg. Eine Figur, der schon Schiller eine Sonderstellung zumisst. Das tut Stückl auch, indem er aus Spiegelberg, dem Dauerkonkurrenten Karls, eine Frau macht und mit Brigitte Hobmeier besetzt. Ihr gelingt es, mit selbstbewusster, kalt-brutaler Ausstrahlung und verdeckter Innerlichkeit zum intelligenten Mittelpunkt der Aufführung zu werden. Ihren Kampf um die Macht in der Truppe und hier auch um die Liebe Karls verliert sie. Die unausgesprochene, aber doch immer präsente Beziehung dieser beiden sowie Spiegelbergs Tod gehören zu den starken Momenten der Inszenierung. Fatalität und Charme Mit der dagegen so undankbaren Rolle der Amalia konnten sowohl Frederike Schinzler als auch ihr Regisseur nicht viel anfangen. Er drängt sie zu smarter Coolness, zwängt sie in chinaseidene Schlitzkleider und zitiert mit Schriftzügen auf deren Rücken den Kultfilm "In the mood for love". Aber was soll's? Das fragt man sich im Verlauf des dreieinhalbstündigen Abends dann doch leider immer öfter. Denn Christian Stückl findet am Ende nicht mehr heraus aus Schillers Dickicht der Handlung, der Figuren und der Weltanschauungsdebatten um Gott, Mensch und Moral. Er hat sich verrannt, indem er das schon beim Dichter überlange, fatale Finale voll ausspielt; indem er glaubt, es allein mit der Naivität, der Ehrlichkeit und dem Talent seiner begabten jungen Darsteller zu bewältigen. Indem er fast alles so spielt, wie Schiller es geschrieben, aber vielleicht doch nicht immer so, wie der Dichter es gemeint hat. "Schau mich bitte nicht so an ..."? Der Charme, der dennoch über diesem Abend liegt, die Offenheit dieses Ensembles und seines Intendanten lassen über manches hinwegsehen. Die zu erwartenden Schulklassen werden es Christian Stückl danken. Münchner Merkur, 18. April 2003
... Mit
Räubern hat Maximilian Brückner Erfahrung. Er hat,
noch parallel zur Ausbildung, einen großartigen Karl Moor in
den
"Räubern" gespielt, dann den "Räuber
Kneißl" ...
Aus: Boandlkramer mit Charme, 5. April 2005 ... Vor drei Jahren holte Intendant Christian Stückl den damals 23jährigen Schauspielschüler Maximilian Brückner ans Münchner Volkstheater und gab ihm kurze Zeit später die erste Hauptrolle als Karl in seiner Inszenierung der "Räuber". Brückner bekam vor Aufregung eine Lungenentzündung, wie er sagt, hielt aber durch und brach sein Studium an der Falckenbergschule ab, um weiter spielen zu können ... Aus: Boandlkramer im Volkstheater, 14. August 2005 ... Brigitte Hobmeier war die Erste ... Kurze Zeit später bekam der "Brandner Kasper" in Maximilian Brückner einen grandiosen Boandlkramer, der sich zuvor schon als "Räuber"-Hauptmann (Schiller) hervorgetan hatte und inzwischen zum Saarbrücker "Tatort"-Kommissar befördert wurde ... Aus: Das Volkstheater als Karrieresprungbrett, 24. November 2009 Die letzte Vorstellung war vermutlich am Sonntag, den 20. Juni 2004 Trivia: Angeblich ist Matthäus Klostermaier, der 'Bayerische Hiasl', das Vorbild für Karl Moor. 2008 hat Maxi Brückner seine Geschichte für den Bayerischen Rundfunk eingesprochen. ~~~~~
Dank an Dieter
Hansing. Photos zur Verfügung
gestellt von der
Pressestelle des Münchner Volkstheaters. Verwendung mit
freundlicher Genehmigung des Photographen Joahnnes Seyerlein.
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erstellt im November 2009 von EFi |
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