Magdalena
  Volksstück von Ludwig Thoma (* 21. Januar 1867 - † 26. August 1921)


  Münchner Volkstheater 2012 - 2014

Magdalena - ein Volksstück in drei Aufzügen
Personen: Thomas Mayr, genannt Paulimann, Gütler ; Mariann Mayr, sein Weib ; Magdalena, beider Tochter ; Jakob Moosrainer, Bürgermeister ; Lorenz Kaltner, Aushilfsknecht bei Mayr ; Benno Köckenberger, Kooperator ; Barbara Mang, Taglöhnerin ; Martin Lechner, Bauernsohn ; Valentin Scheck, Bauer ; Johann Plank, Bauer ; Ein Gendarm. Bauern, Weiber, Knechte, Mägde, Schuljugend.
Die Handlung spielt im Hause des Thomas Mayr in Berghofen, einem Dorf des Dachauer Bezirkes. Zwischen dem ersten und zweiten Aufzug liegen sechs Wochen, zwischen dem zweiten und dritten einige Tage. (Verlag A. Langen, ©1912)

In einem Brief schrieb Thoma über das Werk: "Meine Magdalena entstand fix und fertig im Kopfe, seiner Zeit, als ich in Egern die Fronleichnamsprozession durch die Felder ziehen sah. Die kleinen, weißgekleideten Mädel, die hinter dem Pfarrer hertippelten, machten mir einen rührenden Eindruck. Was wird aus ihnen werden? Wie lange halten sie fest an dem Kinderglauben? Und plötzlich stand ein Schicksal von so einem armen Ding vor meinen Augen."
Uraufführung war am 12. Dezember 1912 unter der Regie von Viktor Barnowsky, im Kleinen Theater zu Berlin Unter den Linden.
Der Kritiker Alfred Kerr schrieb darüber: "Hier kommt etwas, ja, wie bei den alten Tragikern. Urmächte sind im Spiel."

In der Fernsehdokumentation "Ludwig Thoma - Jagd und Wahn" von 2004, sagt Christian Stückl, dass das einzige Stück von Thoma, dass er sich vorstellen kann zu machen, "Magdalena" sei. Aber erst 2012 hat es dann Maximilian Brückner inszeniert.

Im Hause Thomas Mayr ist die Welt aus den Fugen. Die Mutter Marianne liegt seit Wochen sterbenskrank danieder, und jetzt bringt die Polizei das Kind nach Hause. Der Bürgermeister sorgt sich um die Moral im Dorf. Oder will er doch nur die Gelegenheit nutzen, um mit Thomas Mayr eine alte Rechnung zu begleichen? Auch der Pfarrer, der seinen Blick nur aufs Ewige hin gerichtet hat, findet keine Worte, um die Familie zu trösten.
Nach dem Tod der Mutter kommt das Dorf immer mehr in Aufruhr. Wollte zunächst keiner ein Detail des Skandals versäumen, will nun keiner mehr etwas mit den Mayrs zu tun haben. Als die Bauernburschen sich einen Spaß mit "Magdalena" machen wollen, geht der Streich nach hinten los. Die Situation spitzt sich zu. Nachbar, Bürgermeister und Bauern versammeln sich zum Tribunal bei den Mayrs. Der Vater soll sein Kind zur Rede stellen und aus dem Dorf jagen. Kaum weniger verzweifelt als sein Kind, sticht der Vater mit dem Messer zu: "Jetzt reißt's as naus in d'Schand!"
Ludwig Thomas Stück gelingt mit handfesten naturalistischen Mitteln des Bauerntheaters eine progressive Gesellschaftskritik, die über die Auseinadersetzung mit den gesellschaftlichen und moralischen Maximen der Zeit am Ende des Deutschen Kaiserreichs bis heute Gültigkeit hat. Egal ob "Moral", "Gesellschaftskonsens" oder "Wirtschaftlichkeit" - als abstraktes Prinzip, kann jedes Schlagwort zur Legitimation von Unrecht dienen. Maximilian Brückner wird mit seiner ersten Regiearbeit am Volkstheater das Stück des bedeutendsten bayerischen Schriftstellers des letzen Jahrhunderts entstauben. Doch sieht die Welt für Magdalena auch im 21. Jahrhundert nicht viel rosiger aus. (Pressetext Volkstheater München, ©2012)


Video: München-TV "Szene München" vom 22.2.12
Regisseur Maximilian Brückner spricht über seine Ideen zur Inszenierung, samt diversen Ausschnitten aus dem Stück
Video: München-TV "München heute" vom 23.2.12
Ab 2:20min Ausschnitte aus Magdalena, samt zwei Sätzen des Regisseurs zum Stück

Magdalena Webplakat Click to enlarge

Premiere am 23. Februar 2012, Wiederaufnahme am 19. Oktober 2013

Besetzung:
Florian Brückner - Leonhard "Leni" Mayr
Wolfgang Maria Bauer - Thomas Mayr, Wirt
Ursula Maria Burkhart - Mariann Mayr, Wirtin
Alexander Duda - Jakob Mosrainer, Bürgermeister
Mara Widmann - Zenzi, Aushilfe bei Mayr
Peter Mitterrutzner - Benno Köckenberger, Kaplan
Hubert Schmid - Valentin Scheck, Bauer
Ercan Karacayli - Esat Yıldırım, Nachbar
Peter Fasching - Martin Lechner, Bauernsohn
Franz Maier - Georg Stelzer, Bauernsohn
Ferdinand Schuster - Alois Leitner, Bauernsohn
Stab:
Inszenierung: Maximilian Brückner
Bühne und Kostüme: Katharina Dobner
Licht: Günther E. Weiß
Dramaturgie: Britta Kampert
"Tatort"-Kommissar Maximilian Brückner wird Theaterregisseur
München - Gerade noch mit "Resturlaub" im Kino, ist Maximilian Brückner dick im Geschäft. Jetzt geht er zu seinen Wurzeln zurück. Am Münchner Volkstheater wird er ein Stück von Ludwig Thoma inszenieren.
Schauspieler und Saar-"Tatort"-Kommissar Maximilian Brückner geht unter die Theaterregisseure. Am Münchner Volkstheater inszeniert er im kommenden Jahr Ludwig Thomas "Magdalena". Es ist das erste Mal, dass der Münchner Schauspieler ("Resturlaub"), der seine Karriere im Volkstheater begann und dort heute noch unter anderem in "Der Brandner Kaspar und das ewig' Leben" zu sehen ist, ein Theaterstück inszeniert.
Das Stück um eine Bauerstochter, die ihr Elternhaus verlässt, sich mangels Geld in der Stadt prostituieren muss und nach ihrer Rückkehr von der Dorfgemeinschaft ausgegrenzt wird, ist eine von acht Neuinszenierungen der kommenden Saison.
(dpa), Münchner Merkur, 15.09.2011

Mit genug Strom in die neue Saison - Das Münchner Volkstheater stellt sein Spielzeitprogramm vor:
Los geht es mit "Bluthochzeit" in der Regie von Miloš Lolić, Intendant Christian Stückl bringt "Der Stellvertreter" auf die Bühne und das Festival "Radikal jung" geht weiter. ... Viel Beachtung wird einem Regiedebüt im Januar gewiss sein: Maximilian Brückner, gefeierter Boandlkramer im "Brandner Kaspar", inszeniert "Magdalena" von Ludwig Thoma. Ein bayerischer Stoff sei für den Maxi richtig, fand Stückl.
Gabriella Lorenz, AZ München, Druckausgabe 17./18.09.2011, S. 23

Filmreporter: Können Sie sich vorstellen, selbst mal Regie zu führen?
Maximilian Brückner: Am Theater mache ich das jetzt ja.
Filmreporter: Was für ein Stück inszenieren Sie?
Brückner: "Magdalena" von Ludwig Thoma. Es ist ein Drama, das nur in einem Raum spielt. Die Tochter kehrt aus der Stadt zurück, wo sie Prostituierte war. Am Ende treiben es die Bürger so weit, dass der Vater schließlich seine Tochter ersticht. Ich stelle mir die Frage, wie ich so ein Thema zeitgerecht inszenieren kann.
Filmreporter: Aber Sie spielen nicht mit?
Brückner: Nein. Die Regie reicht mir völlig. So weit bin ich noch nicht, dass ich beides könnte.
Willy Flemmer, filmreporter.de, 13.12.2011

Am 23. Februar hat Ludwig Thomas "Magdalena" am Volkstheater Premiere. Maximilian Brückner wechselt die Seiten und wird das erste Mal an einer professionellen Bühne inszenieren. Das Stück wurde genau vor 100 Jahren in Berlin uraufgeführt. Auf die Frage, was ihn an Ludwig Thoma interessiert, antwortete Maximilian Brückner unlängst in einem Interview: "Die Menschen funktionieren immer noch gleich. Wir wollen alle wahnsinning offen sein, aber wir sind es nicht. Wir können es nur besser verbergen. Wie bringt man einen Menschen so weit, dass er sein eigenes Kind umbringt? Diese Mechanismen interessieren mich total."
Pressestelle Münchner Volkstheater, 10.01.2012

Theatermacher fürs Grobe - Schauspieler Maximilian Brückner spricht über sein Regiedebüt (auf hochdeutsch!)
Jetzt versucht sich Maximilian Brückner erstmals als Regisseur: Im Volkstheater in München inszeniert er "Magdalena" - ein bayerisches Bauerntheaterstück. Am 23. Februar gibt's die Premiere - Susanne Burkhardt hatte vorher die Gelegenheit, mit Maximilian Brückner zu sprechen.
Sie können das vollständige Gespräch mindestens bis zum 12. Juli 2012 als MP3-Audio im Audio-on-Demand-Angebot von dradio.de hören.
Deutschlandradio Kultur, 12.02.2012

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Maximilian Brückner inszeniert "Magdalena": Interview zur Premiere
München - Maximilian Brückner wagt sich an seine erste Regie: Am Münchner Volkstheater inszeniert er Thomas "Magdalena". Lesen Sie hier das Merkur-Interview zur Premiere.

 Foto: © Schlaf
In Ludwig Thomas "Magdalena" von 1912 spielte einst die Crème de la crème der bairischsprachigen Schauspieler, man denke nur an Therese Giehse und Rudolf Vogel. Aber in unseren Tagen ist das "Volksstück" ziemlich in Vergessenheit geraten. Das Volkstheater macht sich nun daran, das Werk neu zu entdecken (Premiere am 23. Februar) und holt dabei Wolfgang Maria Bauer als Paulimann wieder auf eine Münchner Bühne zurück. Schauspieler Maximilian Brückner, der amtierende Boandlkramer, wagt sich an die Regie - seine erste.
mm: Wie sind Sie auf "Magdalena" beziehungsweise Thoma gestoßen?
Vor Jahren auf der Schauspielschule, ich glaube, nach dem Seminar für Volksschauspieler 2002 wollte ich daheim in Riedering ein bissl anderes Theater machen. Ich habe das Stück nicht verändert, sondern ganz einfach, schlicht inszeniert.
mm: Sie haben das Stück gekannt?
Es gibt ja relativ wenige passende Stücke für so ein Projekt. Das war der eine Grund. "Magdalena" wird kaum mehr gezeigt, das Buch gibt es nur noch im Antiquariat. Das war der andere Grund, warum ich das Drama jetzt fürs Volkstheater angehe. Mich interessiert "Magdalena". Ich finde es immer noch aktuell - natürlich mit einigen Verschärfungen.
mm: Ihre Leni ist kein Madl, sondern ein Bursch, der in der Stadt auf den Strich gegangen ist und deswegen heim ins Dorf zu den Eltern geschickt wird. Warum die männliche Version?
Ich habe aus dem Mädchen einen Jungen gemacht, damit sich der Konflikt mit dem Vater verschärft. Wenn es noch das Mädl wär', würde das Dorf zu bieder, zu katholisch dastehen. Der Zuschauer sagt dann: "Mein Gott, das ist nicht das Tollste, aber damit kann man doch umgehen." Aber bei so einem Vater-Sohn-Verhältnis spitzt sich das Problem zu. Jeder fragt sich: "Könnte ich ertragen, dass mein Sohn sich prostituiert?" Wichtig war mir außerdem das Bairische. Ich fühle mich sicherer dabei. Aber vielleicht hätte ein anderes Stück auf Hochdeutsch genauso funktioniert... Das Grundgerüst, dass Menschen andere Menschen ausschließen, weil sie eine andere Hautfarbe haben, eine andere Religion oder Sexualität, ist gleichgeblieben - heute wie damals. Aber der Konflikt sollte stärker sein. Ich denke, 80, 90 Prozent der Leute könnten mit einer derartigen Situation nicht zurechtkommen. Das ist die Grundidee.
mm: Sie sind auf dem Dorf aufgewachsen und leben noch dort. Ist der Umgang mit dem Skandal anders als in der Stadt?
Auch in der Stadt entstehen Dörfer - jeder baut sich sein eigenes Dorf. Man kann sich in der Stadt besser rausziehen, aber in der Clique redet man übereinander. Generell haben die Menschen Angst, wenn sich Grenzen öffnen. Das sind gefährliche Phasen, die in Radikalität kippen können.
mm: "Magdalena" ist Ihre erste Regie. Was hat Sie gereizt?
Damals als Student hat es Spaß gemacht - auch den Schauspiel-Laien. Zunächst hatte ich ja von ihnen gelernt, und nach der Schauspielschule habe ich sie an ihre Grenzen geführt.
mm: Das war der erste Test, bei dem man merkt: Ich kann's...
Ob ich's kann, weiß ich nicht. Ich glaube, du fängst jedes Mal von vorn an. Wie beim Schauspiel auch. Zu meinen, man hat ein Repertoire, das man bloß auspacken muss, ist nicht mein Weg. Auch wenn ich eine Rolle erarbeite, geht's mir so: Ich denk', was hab’ ich überhaupt in dem Beruf verloren? Da muss ich eben hinarbeiten. Ich möchte auch wieder in Riedering was machen, nix Großes. Es geht nicht darum, dass ich dort inszeniere, sondern dass wir Spaß haben. Damals hat der Stückl mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, bei ihm ein Drama zu inszenieren. Ich habe geantwortet: "Nein, ich bin zu jung, ich kann das nicht." Und jetzt bin ich vielleicht immer noch zu jung, aber ich hab's mich wenigstens getraut.
mm: Christian Stückl hat dann wieder bei Ihnen angeklopft?
Nein, ich habe mich gemeldet, und er hat gesagt: "Überleg' Dir was." Ich habe "Magdalena" vorgeschlagen - mit meiner Idee. Das ist ja ein Gesamtpaket. Ich habe einiges umgestellt, wollte jedoch am Thoma-Stück nahe dranbleiben. Es wirkt holzschnittartig, hat aber viel Kraft. Wenn man es zu sehr verheutigt, dann verliert es an Kraft. Das merke ich jetzt erst nach vier Wochen Proben: Man muss darauf schauen, dass die Sätze ganz klar gesagt werden. Man muss sie greifen und dem anderen ins Gesicht hauen.
mm: Wie ist es mit dem alten Bairisch?
Die Schauspieler tun sich wahnsinnig schwer mit dem Textlernen.
mm: Wie schwierig ist es, mit einem wie Wolfgang Maria Bauer, der selbst nicht nur Schauspieler, sondern auch Regisseur und Autor ist, zu arbeiten?
Ich hab' auch Angst gehabt. Aber mit Wolfgang Maria Bauer - ich bin froh, dass wir ihn haben - kann man super arbeiten. Der schmeißt sich voll rein. Wir haben uns überhaupt nicht gekannt; wir haben ein-, zweimal telefoniert, einen Menschen lernst du allerdings erst auf der Probe kennen. Viele würden einen Jungregisseur vielleicht auflaufen lassen - das hat er nie getan. Aber meine Art zu arbeiten ist auch ein Wir. Da sitzen zehn Leute mit vielen Einfällen. Selbst wenn nur zehn Prozent davon gut sind, ist das schon einiges. Es ist ein Miteinander-Finden. Ich weiß am Anfang selbst nicht, wohin das Stück geht.
mm: Ihr Bruder Florian hat die Magdalena-Funktion übernommen.
Wir arbeiten sehr gut zusammen. Ich wollte nicht unbedingt meinen Bruder für die Rolle, aber es ist recht schwer, einen jungen Bairisch sprechenden Schauspieler zu finden. Wenn ich sehe, wie filigran er und was für ein Prackl Mannsbild der Bauer ist, dann entsteht da die richtige Spannung.
Das Gespräch führte Simone Dattenberger. Münchner Merkur, 17.02.2012

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"Meine Magdalena? Ist ein Mann"
Schauspieler Maximilian Brückner über sein Regiedebüt am Volkstheater, seinen Dreh mit Steven Spielberg - und warum er neuerdings Bart trägt
Die Leute kennen ihn von der Bühne ("Brandner Kasper"), vom Film ("Räuber Kneißl") und vom Fernsehen ("Tatort"). Maximilian Brückner, 33, gilt als einer der talentiertesten Schauspieler der Generation Schweighöfer und Stadlober. Beliebt ist er außerdem. Das alles setzt er jetzt aufs Spiel. Am Münchner Volkstheater inszeniert er eine mutige "Magdalena" nach Ludwig Thoma. Er ist ein bisschen nervös.

 Foto: © Hans-Rudolf Schulz
Welt am Sonntag: Oh, der Bart: ist ja cool!
Maximilian Brückner: Der was? Der Bart? Ach so. Das ist kein modisches Statement. Zurzeit komme ich einfach zu nichts, zum Rasieren schon gar nicht. Womöglich ein erstes Zeichen von Verwahrlosung (lacht).
Welt am Sonntag: Sie inszenieren gerade Ihr erstes Stück, kommen direkt aus den Proben. Wie läuft's?
Maximilian Brückner: Ich weiß es nicht. Ehrlich.
Welt am Sonntag: Wie ist es, wenn plötzlich alle auf einen hören? Oder sind auch ein paar Bockige drunter?
Maximilian Brückner: Die gibt's immer! Ich kenne mich ja auch selbst als Schauspieler: Du kommst auf irgendwas, findest es gut, willst es auf gar keinen Fall weglassen ...
Welt am Sonntag: Und? Wie gehen Sie damit um?
Maximilian Brückner: Na ja, ich merke, dass mir der Background fehlt, die Erfahrung, dass ich in so einer Situation gleich sagen kann: Passt! Oder: Passt nicht! Und weiter! Gerade sind wir beim Beleuchten. Das habe ich auch noch nie gemacht. Da eine Sprache zu finden, damit die anderen verstehen, was man von ihnen will, ist nicht so einfach. Und ich spür' jetzt die Verantwortung. Als Regisseur bin ich es, der ein Gesamtkonzept im Kopf haben muss. Und das Gemeine ist, dass man erst am Schluss sieht, ob das, was man sich gedacht hat, auch aufgeht. Da habe ich schon ein bisschen Schiss.
Welt am Sonntag: Ist es nicht ein Vorteil, dass Sie sich in der Komfort-Kuschelzone "Ihres" Volkstheaters austesten können?
Maximilian Brückner: Ich bin dem Christian Stückl unheimlich dankbar, dass er mich lässt. Auf jeden Fall. Er hat mich vor zehn Jahren mal gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, ein Stück zu inszenieren. Damals war ich Anfang 20, neu am Volkstheater und total grün hinter den Ohren. Ich hab' mich einfach nicht getraut. Aber irgendwie ist da was in mir gewachsen. Jetzt tue ich's, weil ich will. Und man wird sehen, ob ich den Mund zu voll genommen habe. Oder eben nicht.
Welt am Sonntag: Kommt der Chef manchmal in die Proben?
Maximilian Brückner: Er war schon da. Und hat das Experiment auch noch nicht abgebrochen. Das ist halt der Christian: Der probiert gern was aus, und manchmal haut's hin und manchmal nicht.
Welt am Sonntag: In den vergangenen zehn Jahren hatten Sie jede Menge Zeit, sich was abzuschauen: am Volkstheater oder beim Dreh mit Filmemachern wie Marcus H. Rosenmüller, Detlev Buck oder Steven Spielberg. Was war Ihr größtes Aha-Erlebnis bei der Arbeit mit diesen Cracks?
Maximilian Brückner: Was mich am meisten beeindruckt, ist die Energie, die die haben. Die Begeisterung. Wie sie Leute mitreißen können. Die sind wie eine Supernova, wo du denkst: Wann verbrennt denn die? Die verbrennt ja nie! Na gut, und Spielberg, das ist an mir vorbeigerauscht, das hab' ich gar nicht richtig mitgekriegt.
Welt am Sonntag: "Gefährten", Steven Spielbergs neuer Film, in dem Sie einen deutschen Offizier spielen, ist gerade in Deutschland angelaufen.
Maximilian Brückner: Ja, aber von mir ist nicht viel drin. Ich wisch' einmal kurz durchs Bild, pfeif' jemanden zusammen, wie man das als deutscher Offizier so macht, das war's. Der Rest fiel der Schere zum Opfer. Aber ich bin deshalb nicht böse. Ich hab' Spielberg auf dem Set einmal kurz gesehen. Plötzlich stand er vor mir. Wie eine Erscheinung. Dann war er wieder weg. Aber das allein war den Spaß wert. Als Jungregisseur am Theater kann ich beim Film ohnehin nicht so viel lernen.
Welt am Sonntag: Warum?
Maximilian Brückner: Na ja, beim Film kannst du im Nachhinein vieles wieder geradebiegen. Du kannst allein durch geschicktes Schneiden Spannung erzeugen. Wenn am Theater die Spannung erst mal weg ist, hast du verloren.
Welt am Sonntag: Und, wie schaut's aus?
Maximilian Brückner: Wir machen jetzt dann zum ersten Mal einen Komplettdurchlauf. Dann werden wir sehen, ob Zug drin ist.
Welt am Sonntag: Sie haben sich für Ihre erste Regiearbeit einen Stoff von Ludwig Thoma ausgesucht, "Magdalena". Worum geht es in dem Stück?
Maximilian Brückner: Es geht um eine Familie. Auf dem Land. Die Tochter ist abgehauen in die Stadt, sie ist weg, und jeder weiß, dass sie dort untergegangen ist. Sie hat sich prostituiert. Eines Tages wird sie heimgebracht. Sie versucht, sich zu integrieren. Dann stirbt noch im ersten Akt die Mutter. Im zweiten sind Vater und Tochter allein daheim, die beiden versuchen, sich zu arrangieren. Aber irgendwann wird der Druck von außen, vom Dorf, so groß, dass der Vater die Tochter ersticht.
Welt am Sonntag: Was hat Sie an diesem, nun ja, eher konventionellen Stoff so interessiert?
Maximilian Brückner: Die Mechanismen, die immer dann einsetzen, wenn jemand anders ist.
Welt am Sonntag: Geschichten von gefallenen Mädchen, von archaischen Ehrbegriffen und bigotter Moral waren schon zu Thomas Zeiten, 1912, nicht neu. Das war damals der Hauptkritikpunkt an dem Stück.
Maximilian Brückner: Wie die Leute funktionieren, wenn einer anders ist, eine andere Hautfarbe hat, eine andere Religion und so weiter, ändert sich nie. Leider. Insofern ist "Magdalena" eigentlich zeitlos. Ich hab' trotzdem versucht, es zuzuspitzen ...
Welt am Sonntag: Inwiefern?
Maximilian Brückner: Meine Magdalena ist ein Mann. Es ist der Sohn, nicht die Tochter, die sich prostituiert. Aus dem Konflikt des Vaters mit der Tochter wird bei mir ein Vater-Sohn-Konflikt, und der ist noch mal härter, weil die ganzen alten Vorstellungen vom Maskulinen mit hereinspielen.

Maximilian Brückner im Foyer des Volkstheaters. Foto: © Hans-Rudolf Schulz 
Welt am Sonntag: "Magdalena" als Schwulendrama?
Maximilian Brückner: Es geht mir gar nicht ums Schwulsein. Für mich ist dieser Sohn nicht schwul. Sondern es geht darum, dass jemand heimkommt und die Leute ihn wie einen Außerirdischen behandeln. Sie verstehen nicht, wie man "so was" machen kann. Wobei man dieses "so was" ja nicht sieht. Es sind Bilder, die die Leute im Kopf haben, mit denen sie nicht klarkommen, was dazu führt, dass am Schluss alles eskaliert.

 Foto: © Hans-Rudolf Schulz
Welt am Sonntag: Wir wussten ja schon, dass Sie ehrgeizig sind. Aber wie gehen Sie mit Niederlagen um? Wenn es zum Beispiel für die Darstellung eines krisengeschüttelten Singles in "Resturlaub" Verrisse hagelt? Wenn von Klamauk die Rede ist?
Maximilian Brückner: Solche Sachen stören mich nicht so. Natürlich ist es schön, wenn ein Film gut läuft. Und ich hätte "Resturlaub" schon deshalb mehr Zuschauer gewünscht, weil ich den Film auch selbst gern mag. Ich hatte Spaß beim Drehen. Und vielleicht hat der Film ja außer mir noch ein paar Leuten gefallen. Also: Das ist schon okay. Hilft ja nix!
Welt am Sonntag: Wie groß war die Enttäuschung, als Sie beim Saar-"Tatort" zusammen mit Ihrem Co-Ermittler Gregor Weber rausgeflogen sind?
Maximilian Brückner: Na ja, das hat schon wehgetan, denn für mein Gefühl waren wir, der Gregor und ich, da eigentlich auf einem guten Weg. Ich hab's auch nicht verstanden, denn die Begründung - von wegen unsere Geschichte sei auserzählt -, die war ja nicht sehr überzeugend. Eher ein Vorwand.
Welt am Sonntag: Das Duo Kappl/Deininger alias Brückner/Weber hat es den Verantwortlichen dann ja noch mal so richtig gezeigt - und mit der letzten Folge die beste Quote eingefahren, die je ein Saar-"Tatort" in den vergangenen 19 Jahren erzielt hat.
Maximilian Brückner: Das war uns dann, ehrlich gesagt, auch schon wurscht. Aber für die Optik ist so ein Abgang natürlich schön.
Hermann Weiß, Welt am Sonntag, 19.02.2012

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Ich zeige dir deinen Abgrund
Tatort Volkstheater: Maximilian Brückner inszeniert Ludwig Thomas "Magdalena" und vertauscht dabei frech die Geschlechter
Maximilian Brückner ist ein Kerl, der gerne Neues wagt. Nachdem er sich im Theater als kraftvoller Darsteller ("Brandner Kaspar") etabliert hat, im abgesetzten Saar-"Tatort" den Kommissar Kappl spielte und regelmäßig im Kino auftaucht (im März in "Was weg is, is weg"), führt er nun erstmals professionell Regie. Ludwig Thomas "Magdalena" inszeniert er frisch aktualisiert fürs Volkstheater, Premiere ist übermorgen.

 Foto: © Arno Declair/Volkstheater
AZ: Herr Brückner, Sie haben "Magdalena" vor 10 Jahren schon in Riedering mit Laien aufgeführt. Ist es nun leichter, mit Profis zu arbeiten?
MAXIMILIAN BRÜCKNER: Pah, das ist immer die Frage. Bei Laien sagt man: Ich will das so - und dann wird's auch gemacht. Bei professionellen Schauspielern muss man darauf achten, dass jeder eine andere Temperatur hat. Hier kommen viele eigene Ideen, das ist auch ein "Wir". Wir machen das Stück. Dabei muss man seine Linie behalten.
AZ: Wieso haben Sie ein Stück von Ludwig Thoma gewählt?
Ich wollte einfach etwas Bayerisches machen, weil es mit mir mehr zu tun hat. Und ich komme auch vom Dorf. Dann hatte ich die Idee, dass ich den Konflikt verstärken wollte.
AZ: Indem Sie Magdalena von einem Mann spielen lassen.
Ja, wenn statt der Tochter der Sohn in die Stadt gegangen ist, dann ist der Konflikt noch stärker, dieses Unverständnis vom Vater gegenüber dem Sohn.
AZ: Vielleicht macht das heute eher einen Skandal: ein Heimkehrer, der in Frauenkleidern in der Stadt gearbeitet hat ...
Ja, genau.
AZ: Ist Magdalena damit schwul?
Nein, darum geht's nicht. Da ist ein Bursche, der hat einen Fehler gemacht und er wird zur Projektionsfläche für alle anderen. Er zeigt ihnen ihre eigenen Abgründe. Das halten die Menschen nicht aus.
AZ: Ludwig Thoma hat das Kleingeistige auf dem Land kritisiert. Sie leben selbst weiterhin nahe Riedering, am Simssee. Ist es dort so provinziell?
Es gibt einfach gewisse Tabuthemen, aber das ist in der Stadt nicht anders. Jeder bildet sich in der Stadt sein eigenes kleines Dorf. Und wenn jemand eine andere Hautfarbe hat, eine andere Religion, eine andere Sexualität, dann sorgt das schnell für Reibungen.
AZ: Ihr Bruder Florian spielt die Hauptrolle. Kann man es sich als junger Regisseur noch schwerer machen?
Ja, es ist schwierig ... na, es ist nicht schwierig. Die Schauspieler, die Bairisch können, sind rar, und dann ist es auch nicht so, dass man jeden kriegt, den man haben will. Und mein Bruder ist ein guter Schauspieler.
AZ: Musste er vorsprechen?
Na.
AZ: Kurz zum abgesetzten ARD-Saar-"Tatort", in dem Sie den Kommissar Kappl spielten. Wie groß ist die Wehmut?
Ach, die Wehmut - es geht ja immer weiter. Es ist halt schade, weil wir ein gutes Team waren. Was ich von dieser Zeit mitnehme, ist das Saarland, weil’s einfach schee war, und meinen Kollegen Gregor Weber. Wir sind wirklich gute Freunde geworden.
AZ: Jetzt führen Sie Regie an alter Wirkungsstätte, dem Volkstheater - haben Sie sich Tipps von Christian Stückl geholt?
Ach, der Christian begleitet als Intendant immer, und das ist auch gut so. Wenn man fünf, sechs Wochen probt, verliert man den Blick von außen. Den hat Christian total.
AZ: Ist er ein ähnlicher Regisseur-Typ wie Sie?
Na, das glaub' ich nicht. Der Christian ist ein hocherfahrener Regisseur. Vor allem die Wucht, die er hat, die kenne ich bei keinem Zweiten.
AZ: Sie sind ruhiger?
Ja, mal so, mal so. Ich suche mich da selber noch. Der Plan war: Ich mach's so, wie ich mir das denke, und entweder funktioniert's oder nicht.
AZ: Und funktioniert's?
Ja, es wird scho'.
Premiere übermorgen im Volkstheater, 19.30 Uhr, evtl. Restkarten an der Abendkasse
Michael Stadler, Abendzeitung, 21.02.2012, 17:00 Uhr

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Florian Brückner Florian Brückner
Fotos: Arno Declair/Volkstheater

Fotos: Max Hofstetter/BR
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Regie-Debüt - Maximilian Brückner hat "schon ein bisschen Schiss"
Nach seinem "Tatort"-Aus kehrt Maximilian Brückner zu seinen Anfängen zurück und betritt dennoch Neuland: Er versucht sich am Münchner Volkstheater als Regisseur.
Schauspieler Maximilian Brückner betritt Neuland und geht unter die Theaterregisseure. Am Münchner Volkstheater inszeniert der 33-Jährige die bayerische Skandalgeschichte "Magdalena" von Ludwig Thoma. Seine Neuinterpretation des Stoffes um die bigotten Moralvorstellungen des Deutschen Kaiserreiches feiert an diesem Donnerstag Premiere.
Der Wechsel ins Regiefach fiel dem Schauspieler nicht ganz leicht, wie er der "Welt am Sonntag" sagte. "Da eine Sprache zu finden, damit die anderen verstehen, was man von ihnen will, ist nicht so einfach", sagte er. "Ich spür' jetzt die Verantwortung. Als Regisseur bin ich es, der ein Gesamtkonzept im Kopf haben muss. Und das Gemeine ist, dass man erst am Schluss sieht, ob das, was man sich gedacht hat, auch aufgeht. Da habe ich schon ein bisschen Schiss."
Brückner, ehemaliger "Tatort"-Kommissar im Saarland, begann seine Schauspielkarriere am Münchner Volkstheater. Unter der Regie von Intendant Christian Stückl spielte er in "Geierwally" und "Die Räuber" und "Räuber Kneißl". Im Kino war er zuletzt in "Resturlaub" und "Rubbeldiekatz" zu sehen - und in einer kleineren Rolle sogar in Steven Spielbergs "Gefährten".
Für seine erste Regiearbeit kehrt er nun an seine alte Wirkungsstätte zurück. "Magdalena" erzählt die Geschichte eines Mädchens, das aus dem Dorf in die Stadt abgehauen ist, dort als Prostituierte arbeitet und nach seiner Rückkehr von der Dorfgemeinschaft fertig gemacht wird - so lange, bis der Vater Magdalena ersticht.
Bruder schlüpft in Frauenrolle
Brückner interessieren daran "die Mechanismen, die immer dann einsetzen, wenn jemand anders ist". Für die Hauptrolle hat Brückner sich darum auch schon einmal etwas Spezielles ausgedacht: Magdalena wird von einem Mann gespielt - von seinem Bruder Florian.
Den "Tatort"-Zeiten trauert Neu-Regisseur Maximilian Brückner immer noch etwas hinterher, wie er der Münchner Abendzeitung sagte. "Es ist halt schade, weil wir ein gutes Team waren." Aus der Zeit nehme er seine Erfahrungen im Saarland mit, "weil's einfach schee war", und die enge Beziehung zu seinem Kollegen Gregor Weber. "Wir sind wirklich gute Freunde geworden."
(dpa/uqu) Focus, 22.02.2012

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v.l.: Wolfgang Maria Bauer, Ursula Maria Burkhart, Florian Brückner, Mara Widmann, Alexander Duda, Hubert Schmid

Peter Mitterrutzner. Fotos: Max Hofstetter/BR





v.l.: Peter Fasching, Alexander Duda, Wolfgang Maria Bauer, Franz Maier




Peter Fasching
Foto: Max Hofstetter/BR


v.l.: Ferdinand Schuster, Franz Maier, Florian Brückner, Peter Fasching. Foto: Arno Declair/Volkstheater




v.l.: Hubert Schmid, Peter Mitterrutzner, Alexander Duda, Peter Fasching, Franz Maier, Ursula Maria Burkhart
Foto: Arno Declair/Volkstheater
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Regiedebüt - Schauspieler Maximilian Brückner wechselt die Seiten: Der 33-Jährige führt am Münchner Volkstheater zum ersten Mal Regie. Ausgesucht hat er sich hierfür ein Stück von Ludwig Thoma, das trotz seines Alters erschreckend aktuell ist.
Brückner wandelt zwischen den Welten. Vor kurzem noch stand er in einer Minirolle für Steven Spielbergs "Gefährten" vor der Kamera, nun ist er zurück am Münchner Volkstheater, wo er 2001 sein erstes Engagement als Schauspieler ergattert hatte und seitdem regelmäßig auf der Bühne zu sehen ist. Zwischendurch ermittelte er als Tatort-Kommissar für den Saarländischen Rundfunk und spielte in zahlreichen Film- und Fernsehfilmen. Sein Zuhause hat er allerdings immer noch in einem Dorf etwa eine Autostunde entfernt von München, wo er mit zwei seiner sieben Geschwister in einem Haus wohnt. Ein Umzug in die Stadt kommt für ihn nicht in Frage, denn die Fahrt auf das Land braucht er, um den Kopf freizubekommen, sagt er.
Alter Stoff - aktuelles Thema
Offensichtlich gibt es die Diskrepanz zwischen der Großstadt und dem Land immer noch - zumindest in Bayern. Brückner erlebt diese Grenzüberschreitung Tag für Tag mit seinen Fahrten vom Dorf in die Stadt, und genau darum geht es auch in seinem Regiedebüt "Magdalena" von Ludwig Thoma, das am 23. Februar am Volkstheater Premiere feiert. Das Stück wurde vor 100 Jahren in Berlin uraufgeführt und funktioniert immer noch, als wäre es brandneu. Die unterschiedliche Moralvorstellungen eines Rückkehrers aus der Stadt und der Landbewohner prallen aufeinander, es beginnt das Tuscheln und Mauscheln, bis sich die Situation schließlich in einer Verzweiflungstat entlädt.
Brückner greift in seinem Regiedebüt eine uralte Thematik auf, die wohl nie an Aktualität verlieren wird: die Angst vor dem Fremden und die Ablehnung anderer Lebensentwürfe. Verschärft wird der Konflikt bei ihm noch, indem er das Geschlecht der Hauptfigur vertauscht hat. Aus der Tochter Leni wird bei ihm Sohn Leni. Ob sein Ausflug in die Regie ein einmaliger bleiben wird, weiß er noch nicht. Das hängt wohl auch vom Erfolg und der Kritik an seinem Regiedebüt ab. Und damit, ob er selbst mit seiner Arbeit zufrieden ist. Auch dann noch, wenn er nach einstündiger Autofahrt zu Hause ankommt und endlich wieder Landluft atmet.
Quelle: BR Kultur, 22.02.2012 (mit weiteren Fotos)


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Dörfische Hetzjagd auf einen Prostituierten
Ludwig Thomas "Magdalena" am Münchner Volkstheater
Das altbackene Stück von Ludwig Thoma über ein gefallenes Mädchen peppt Maximilian Brückner mit einem Mann in der Hauptrolle auf. Glänzend in der Rolle der männlichen Hure ist der Bruder des Regisseurs, Florian Brückner. Es entwickelt sich ein Stück über ein Thema, was auch heute noch Tabu ist.
Eigentlich müsste das Stück jetzt "Leonhard" heißen, denn das ist es, was Maximilian Brückner aus der Titelfigur "Magdalena" gemacht hat: einen Burschen, einen Sohn. Tatsächlich tut der Regisseur gut daran, mit dieser dramaturgischen Geschlechtsumwandlung dem relativ altbackenen Stück von Ludwig Thoma auf die Sprünge zu helfen.
Denn das gefallene Mädchen, das in die Dorfgemeinschaft zurückkehrt und nach einer Treibjagd auf die ganze Familie schließlich vom eigenen Vater vor den Augen aller erstochen wird, das alles ist dann doch ein ziemlich holzschnittartiger Plot, dessen Grundkonstellation zudem die Brisanz verloren hat, die sie vor 100 Jahren bei der Uraufführung sicherlich hatte. Männliche Prostitution dagegen ist auch heutzutage interessanterweise noch immer tabuisiert. Der Junge, der sich Männern hingibt, das verstört in unserer noch immer versteckt patriarchal dominierten Gesellschaft eher, als wenn eine Frau dem ältesten Gewerbe nachgeht.
Es war wohl seine Popularität als Theater-, Film und Fernsehschauspieler, die nun dem Regidebütanten Maximilian Brückner so große Aufmerksamkeit bescherte. Und zugleich ist es ja der Reiz des Münchner Volkstheaters, das Intendant Christian Stückl nicht nur fast ausschließlich junge Schauspieler und junge Regisseure beschäftigt, sondern immer mal auch wieder etwas wagt und ausprobiert.
Und so ein Experiment ist nun auch diese Regiearbeit des Schauspielers Maximilian Brückner, der bisher, wenn überhaupt, dann nur Laientheater in seinem Dorf inszeniert hat. Tatsächlich hat jetzt auch diese Inszenierung von Ludwig Thomas "Magdalena" etwas von jener sicherlich rechtschaffenen und gutgemeint-gradlinigen Dorfkrugästhetik, die man sich so gemeinhin bei einem solchen Volksstück vorstellen kann. Zwischen Bierseidel, Bierbank und Metzgerstube wird die Geschichte von Magdalena erzählt, die nun Leonhard heißt.
Immerhin kommt es zu einigen szenischen Zuspitzungen, etwa wenn die Dorfjugend dem Verfolgten ein Kleid überstreift, um ihn zu erniedrigen. Dabei geht es in dieser Inszenierung nicht um Travestie, und auch nicht um das Schwul sein, sondern es geht um den Heterosexuellen, der sich prostituiert hat. Wobei gerade bei solchen Figuren der Selbsthass und das Agressionspotential gemeinhin sehr groß sind. Doch solchen psychologischen Feinverästelungen folgt Maximilian Brückner als Regisseur weniger. Er zeigt eher deutlich, was er meint, etwa wenn der zum Tanz auf Stöckelschuhen gezwungene Leonhard seine Peiniger so zu verwirren weiß, dass es zwischen zweien von ihnen schließlich zum Blowjob kommt. Da brechen die Sehnsüchte oder Neigungen als Abgründe auf.
Überhaupt spielt sich Florian Brückner, der junge Bruder des Regisseurs als Leonhard mit einer ebenso zarten wie frechen und auch naiven Präsenz ins Zentrum der Aufführung. Zugleich fließt ihm Ludwig Thomas Hard-core-Bayerisch mühelos über die Lippen, was man etwa von Wolfgang Maria Bauer leider nicht behaupten kann, der - endlich mal wieder auf einer Münchner Bühne zu sehen - ohnehin aus seiner Rolle des Vaters gleichsam nach beiden Seiten herausknallt.
Eben noch zitternd-sensibler Dorfmetzger schwingt er gleich darauf Feuerholz oder gleich ganze Bierbänke im Aggressionsausbruch. Da hat Maximilian Brückner dem erfahrenen Kollegen wohl nicht recht Einhalt gebieten können. Und so wünscht man sich nach diesem Abend vor allem eins: mehr Brückner! Mehr zu sehen von Florian Brückner aber auch mehr von Maximilian, den dann vielleicht aber wieder als Schauspieler und weniger als Regisseur.
Sven Ricklefs, DeutschlandRadio Kultur, 23.02.2012, 23:05 Uhr. Audio-Interview dazu.

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Schauspieler Maximilian Brückner hat seine Feuerprobe als Regisseur bestanden. Am Donnerstagabend gab es im Münchner Volkstheater minutenlangen Applaus für seine Inszenierung von Ludwig Thomas "Magdalena".
Nicht gewagt, aber stimmig
Der 33-jährige Ex-"Tatort"-Kommissar präsentierte eine vielleicht nicht unbedingt gewagte, aber sehr stimmige Interpretation des Stoffes um bigotte Moralvorstellungen in der bayerischen Provinz.
Das Besondere: Aus der Titelfigur "Magdalena" machte er einen Mann - eine männliche Ex-Prostituierte. Damit gelang es ihm problemlos, die ursprünglich im Deutschen Kaiserreich spielende Abrechnung mit der Scheinheiligkeit in ein bayerisches Dorf von heute zu transportieren, in der die verkappt homosexuelle Dorfjugend in Karohemden vor Biergartenkulisse Schwulenwitze erzählt.
Ebenso bigotte wie grausame Dorfgemeinschaft
Brückner, der ehemalige "Tatort"-Ermittler im Saarland, der auch seine Schauspiel-Karriere am Münchner Volkstheater begonnen hat, macht aus als typisch bayerisch geltenden Dingen wie der Maß Bier im Biergarten und fröhlicher Blasmusik zynische Werkzeuge einer ebenso bigotten wie grausamen Dorfgemeinschaft, in der der Einzelne und sein Schicksal nicht zählen. Angeführt wird der Mob vom Bürgermeister (Alexander Duda) höchstpersönlich. Die angeblich moralische Instanz der Kirche versagt völlig und demaskiert sich selbst. Der Pfarrer (Benno Köckenberger) hat der verzweifelten Familie Mayr, die nach der Rückkehr des missratenen Sohnes vom ganzen Dorf geächtet wird, nur eins zu sagen: "Ich kann Dir da nichts sagen - beim besten Willen nicht."
Jeder wirft den ersten Stein
Das namensgebende Gleichnis von "Maria Magdalena", das Gnade und Erbarmung Jesu zeigt, wird gnadenlos ad absurdum geführt. Hier wirft jeder den ersten Stein. Vergebung ist ein Fremdwort, echte Freundschaft und Loyalität gibt es nicht. Gebete werden zu hohlen Phrasen, das Wort "Pharisäer" fällt.
Männliche "Magdalena"
In der Hauptrolle der männlichen "Magdalena" ist Brückners überzeugender Bruder Florian zu sehen, der trotz vor allem zum Ende hin hervorragender Leistung von Wolfgang Maria Bauer - auch ein ehemaliger TV-Kommissar ("Siska") - in der Rolle seines Vaters fast noch an die Wand gespielt wird. Bauer spielt die Rolle des verzweifelten Vaters, der bei der vergeblichen Suche nach einem Rest Menschlichkeit und Gerechtigkeitssinn in der Dorfgemeinschaft zugrunde geht, mit einer unglaublichen auch physischen Präsenz, die ihm alles abverlangt.
Gewaltige Verzweiflung
Dass er die Premiere ohne offensichtliche Verletzungen überstand, grenzt an ein Wunder, so gewaltig ist die Verzweiflung, die sich auf der Bühne entlädt. Die Dankbarkeit in seinem Blick, wenn er in seiner Aushilfe Zenzi (Mara Widmann) Loyalität zu erkennen glaubt, ist herzzerreißend.
Er habe "schon ein bisschen Schiss", hatte Neu-Regisseur Brückner vor der Premiere der "Welt am Sonntag" gesagt. Diese Angst - so zeigte sich am Donnerstag - war unbegründet.
Britta Schultejans (dpa), Welt online, 24.02.2012

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Viel bayerisches Klischee
Als Startheater gibt sich das Volkstheater bei der Premiere von "Magdalena": Wolfgang Maria Bauer alias "Kommissar Siska" und Florian Brückner, bekannt aus diversen Rosenmüller-Filmen in den Hauptrollen, Alexander Duda, sonst bei den "Rosenheim-Cops" Polizeidirektor, auch hier als Amtsperson und auch den Dorfpfarrer, Peter Mitterrutzner, kennt man aus Film und Fernsehen.
Die Sahnehaube auf dem Starparfait bildet aber natürlich Maximilian Brückner, bis kürzlich noch Kommissar Kappl aus den saarländischen "Tatort"-Folgen, der seine erste Regie vorstellte.
Das Stück selbst ist wenig bekannt - eine Paraphrase auf die "Maria Magdalena" von Hebbel aus der Feder des Oberammergauer Volksdichters Ludwig Thoma, die sicher bei ihrer Uraufführung vor genau hundert Jahren in Berlin mehr über die drückende Enge dörflich-katholischer Moral aussagte als heute, wo Vereinsamung vor dem Fernseher, Demonstrationen für Umgehungsstraßen und das Warten auf schnelle Internetverbindungen das Dorfleben mehr prägen als Kirche, Wirtshaus und Dorftratsch.
Maximilian Brückner bearbeitete das im Duktus recht langatmige Volksstück, indem er aus der gefallenen Tochter einen Sohn macht – und diesen mit seinem Bruder besetzt. Tatsächlich geht das Konzept auf. Die Geschichte des in die dörfliche Enge zurückgekehrten Strichers birgt auch heute noch reichlich Sprengstoff, der das ganze Konglomerat von Heimat, Moral und Ehrbarkeit exemplarisch in die Luft gehen lässt.
Dass der Vater diese Biografie einfach nicht verstehen kann, dass die schwer kranke Mutter (eine kleinere, aber perfekt ausgefüllte Rolle für Ursula Burkhart) ihren frommen Buben nicht wiedererkennen mag und es ihr das Herz zerreißt - hier funktioniert eine Stückbearbeitung einmal wie mit Griebenschmalz geschmiert und errettet das Drama aus der theaterhistorischen Ecke des Bücherregals.
Dabei hat die Regie, die dem Abend unglücklicherweise zwei Stunden Spieldauer ohne Pause auferlegt, durchaus ihre Schwächen, und der Abend seine Längen. Die vielen heiß geliebten Klischees des Regisseurs stören schon nach kurzer Zeit: Ständig werden gedankenvoll Zigaretten geraucht, schäumende Bierkrüge auf Bierbänken gestemmt, schallt die dämlichste Volksmusik aus dem Radiogerät, werden Holzscheitl und Bierbänke herumgeworfen und Tische umgestürzt.
Hier wurde der Regisseur wohl vom Klischee-Hammer erschlagen. Doch dass die Schauspieler den Abend trotz aller Schwächen bedingungslos stützen, ist offensichtlich und rühmenswert, ebenso der saubere Umgang mit der Dialektsprache, der erholsam von allem Salon-Bairisch absticht. Sogar kleine Figuren wie die drei Dorfhelden (Peter Fasching, Franz Maier, Ferdinand Schuster) geben alles - ob sie als singende Hirschköpfe an der Wand menetekeln oder das gesellschaftliche Ende des Bauernsohnes, das als Travestie-Nummer angelegt ist, einleiten und völlig außer Rand und Band geraten.
Dieser verlorene Sohn, Florian Brückner, ist ein Hemd auf Beinen zum Mitleidbekommen - und bei aller Vielfalt seiner Darstellung lässt er doch die Gretchenfrage offen, ob er aus Geldnot, Zufall, Neigung oder gar Dummheit in die Prostitution geriet.
Sein Vater ist in allem ein Gegenstück, und auch fast zwanzig Jahre nach jenem legendären "Romeo" am Residenztheater, wo er sich in kraftzehrender Todesspirale als Mercutio in die Münchner Theatergeschichte einschrieb, ist Wolfgang M. Bauer eine Theaterdampfmaschine von unbändiger Energie.
Wie er ringt gegen seinen Instinkt und für diesen Sohn, wie er sich am Ende zu ihm bekennt, um ihm dann doch den mitleidenden Gnadenstoß zu geben wie einem nicht lebensfähigen Tier: Das hat eine selten anzutreffende, monolithische Qualität - "edle Einfalt, stille Größe"? Ja, womöglich.
Sabine Busch-Frank, Donau Kurier, 24.02.2012

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Der Bua "Magdalena" mag keine Blutwurst machen
Ex-"Tatort"-Kommissar Maximilian Brückner inszeniert Thoma im Münchner Volkstheater
Griabig wird es in diesem Wirtsgarten nimmer werden. Ausstatterin Katharina Dobner lässt Tische und Bänke von den Stümpfen gefällter Bäume säumen, die Wirtsleute selbst scheinen entwurzelt: Erst wird das in die Großstadt geflohene Kind, das "in die Schande" fiel, von der Polizei wieder zurück ins Dorf gebracht, dann stirbt die Wirtin (eine starke Frau, die über den Tod im ersten Akt hinaus abendfüllend präsent bleibt: Ursula Burkhardt). Der Herr Kaplan (Peter Mitterrutzner) bietet wenig Trost, und der Herr Bürgermeister (Alexander Duda) betreibt den Auszug der moralvergessenen Restfamilie aus seinem Ort. In die Enge getrieben, sticht der Wirt sein Kind vor den Augen des dörflichen Mobs nieder.
Die Gattungsbezeichnung "Volksstück" meinte Ludwig Thoma für sein Schauspiel "Magdalena" wahrscheinlich ironisch. Bereits zur Uraufführung vor genau 100 Jahren im fernen Berlin jedenfalls stellte der Theaterkritiker Alfred Kerr in seiner schmucklos effizienten Diktion fest: "Kein Volksstück. Vielmehr das Gegenteil eines solchen. In knapper Wucht. Im lautlosen Hinstellen eines Sachbestandes."
Der Sachverhalt ist der Vorwurf der Prostitution. Um die Brisanz des Falles ins Heute zu ziehen, wurde Thomas tragische Heldin im Volkstheater einer Geschlechtsumwandlung unterzogen: Aus Magdalena wurde Leonhard, von dem man hört, er sei im Fummel auf dem Strich gewesen. Männliche Prostitution ist, anders als weibliche, auch heute noch ein No-Go, in einer Dorfgemeinschaft weitab des Laissez-faire der Metropolen genügt ein Anfangsverdacht, schwul zu sein, für Ausgrenzung. Die Bauernburschen, die Leonhard mit Frauenkleidern und einem Blow-Job demütigen, haben immerhin ihren Thoma gelesen und verspotten ihr Opfer als "Magdalena".
Der Mann, den sie Magdalena nannten, ist Florian Brückner, ein "Bua", der nicht besonders helle ist im Kopf, hoch angespannt auch, wenn er sich gerade vorm Blutwurstmachen in Vaters Metzgerei durch Zigarettenpausen zu drücken versucht. Die Inszenierung bleibt in der Familie, Regisseur ist sein älterer Bruder Maximilian Brückner. Der Schauspieler, nicht nur prominent als Tuba blasender "Tatort"-Kommissar, den es von Bayern ins Saarland verschlagen hat, gab mit der "Magdalena" ein ansehnliches Debüt als Theaterregisseur. Erfreulich ist, Wolfgang Maria Bauer wieder auf einer Münchner Bühne zu sehen. Allerdings fühlt der sich im Spagat zwischen wehleidigem Witwer und kraftlackelnd-autoritärem Patriarchen nicht besonders daheim. Dafür lässt er die Biergarten-Garnituren so wild fliegen, dass das Publikum in den ersten Reihen in Deckung geht.
Volkstheater am 3., 4., 17., 18. März, 19.30 Uhr, Karten unter Tel. 5234655
Mathias Hejny, Abendzeitung München, 24.02.2012

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Drama "Magdalena" am Volkstheater: Der verlorene Sohn
Der Tanz bringt die Wende zur Katastrophe. Wenn sich der Mayr-Sohn in schriller Travestie-Aufmachung - rote Perücke, roter Fummel, rote Monster-Stöckel - auf dem kleinen Wirtsgarten-Tanzboden wiegt, dann verlieren die Bauernburschen ihre Masken.
Sie haben diesen Leonhard mit dem ach so schlechten Ruf zur Show gezwungen - und nun springt ihre homosexuelle Seite aus ihren eigenen aufgepeitschten Körpern wie ein Schachterlteufel. Mit Lügen und Meineiden drücken sie ihn zurück, verursachen dabei die Verstoßung zweier Menschen aus der Gemeinschaft: Sie fordert, der Vater solle sein Kind aufgeben. Der sieht nur noch einen Ausweg, einen archaischen, den wir aus der Tragödie kennen: die Tötung des Kindes.

Foto: © Arno Declair/Volkstheater. Warum regen sich die anderen auf? Leonhard, gespielt von Florian Brückner, versteht nicht, warum er als Dorfschande ausgegrenzt wird.
Ludwig Thoma (1867 bis 1921) legte das Volksstück "Magdalena" vor 100 Jahren vor. Jetzt inszenierte es der Schauspieler Maximilian Brückner (Jahrgang 1979) für das Münchner Volkstheater. Die knapp zweistündige Premiere, bei der sich im Publikum Theater- und Filmleute, Nachbarn aus Brückners Riederinger Heimat und natürlich Faninnen tummelten, war am Donnerstagabend.
Zu den schönsten Einfällen seiner Gestaltung gehört neben der Idee, aus Leni einen Leonhard (Florian Brückner) zu machen, der Tanz. Er entfesselt und entlarvt nicht nur. Brückner führt ihn schon zu Beginn des Stücks ein, wenn der Mayr-Vater Thomas (Wolfgang Maria Bauer ) in seinem Wirtsgarten feiert, weil er gegen den großkopferten Bauern und Bürgermeister Moosrainer (zu wenig abgründig: Alexander Duda) einen Prozess gewonnen hat. Da deutet Mayr, schon leicht angesäuselt, mit seinem türkischstämmigen Nachbarn Esat (sympathisch, aber blass Ercan Karaçayli) einen Männertanz an, zieht ihm das Hemd aus der Hose und tätschelt seinen nackten Bauch.
Und später will der junge Mayr die Aushilfe Zenzi (aufrecht: Mara Widmann) mit einem fetzigen Disco-Solo bezirzen. Allein schon daran wird klar, dass Maximilian Brückner tief in den Thoma'schen Text eingestiegen und ihn ganz zu sich herangezogen hat. Aber mit Respekt und ohne modische Blödeleien. Das Wichtigste: Die alte bairische Sprache bleibt erhalten. Auch wenn gerade die drei Jüngsten im Team, Peter Fasching, Franz Maier, Ferdinand Schuster (Bauersöhne), darin genauso wie bei der schauspielerischen Leistung auf recht wackligen Beinen stehen. Da kann naturgemäß ein erfahrenerer Regisseur besser helfen.
Auch die übrigen Schauspieler hatten großteils mit diesem Debütanten-Faktum zu kämpfen. Man agiert schon auf sehr unterschiedlichem Niveau - vom Laienspiel über Solidität bis Feinsinnigkeit. Maximilian Brückner schuf zum Beispiel für Ursula Burkhart eine wunderbare Basis. Ihre Mariann Mayr, Mutter von "Magdalena", im adretten Trachtenkostüm samt lila-weinroten Strümpfen (Katharina Dobner setzt diese Farbe immer wieder als Ausrufungszeichen) ist kein liabs Muatterl und keine bescheidene Hauserin wie bei Thoma, sondern eine gestandene Geschäftsfrau mit scharfem Blick aufs Geld. Angesichts ihres Todes und der Liebe zum verlorenen Sohn wird das unwichtig. Erbarmen zählt jetzt, nicht gesellschaftliche Anerkennung und finanzielle Sicherheit. Das Versprechen, das Kind nicht zu verstoßen, ringt sie ihrem Mann ab. Burkhart und Bauer gelingen innige Szenen von elterlicher Ohnmacht und Verzweiflung und ehelicher Zärtlichkeit.
Endlich ist Wolfgang Maria Bauer wieder auf einer Münchner Bühne zu erleben. Kein junger Feger mehr, sondern in der Vaterrolle. Aber auch da kommt er bis zur körperlichen Raserei, ein in die Enge getriebenes Tier, das sein Junges bis zum Letzten verteidigt. Schön, dass er zu Anfang hingegen auf leise Töne setzt, Zartheit, Resignation, unterdrückte Wut. Bei der Premiere lief das noch ein bissl unrund, aber das spielt sich ein. Wie wohl auch manche Tempoverschleppung bei der Inszenierung.
In das Dorfumfeld - Wirtsgarten-Einheitsbühnenbild mit toten Bäumen und Stümpfen als Sinnbild (Katharina Dobner) - versucht sich Sohn Leonhard zu integrieren. Weil er in der Stadt auf den Strich ging, wurde er von der Obrigkeit heimgeschickt. Sitzt nun als Pfahl im Fleisch der Doppelmoral. Florian Brückner spielt das ehrlich, geradlinig. Da ist einer, der gar nicht versteht, warum sich die anderen so aufregen. Eine gute Zusammenarbeit der Brückner-Brüder: fein abgestimmt. Das gelingt Maximilian Brückner bei seiner Regie nicht immer, denn sein Anliegen bringt er überdeutlich vor. Diese Erstlings-Krankheit wird sich bei weiteren Inszenierungen verlieren - die sollten kommen. Schließlich hat er uns alles in allem mit "Magdalena" eine runde Sach' geboten.
Simone Dattenberger, Münchner Merkur, 24.02.2012


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Eintrittskarte zur Premiere von Magdalena

"Magdalena": Für die Plätze in der vorderen Reihe sollte eine Warnung rausgegeben werden, wegen Bankenwurf, Steinschlag und möglicher Bierdusche!
Vor lauter Premierenaufregung hat noch nicht alles ganz ineinander gepasst. Regisseur Maximilian Brückner hat aber den Wechsel von lauten emotionalen Szenen zu den ganz leisen emotionalen Szenen in dem doch recht grobgeschnitzten Stück gut hinbekommen. Sein Bruder Florian als 'Leni' (Kompliment! Er bewegt sich sehr gekonnt auf 18 cm High Heels aus knallrotem Lackleder - vermutlich wird er sich dafür wohl im privaten an seinem großen Bruder rächen ...) und Ursula Maria Burkhart als seine Mutter jedenfalls sind ein Gewinn für die Aufführung, und wenn sich Wolfgang Maria Bauer als Vater noch in den Griff bekommt, denn gestern war es einfach zu viel von allem, wird auch seine Figur glaubwürdiger. Seine Motive sind verständlich, aber durch beinahe permanentes Rumbrüllen, vor allem im 2. Akt nach dem Tod der Frau wird er unverständlich.
Bei Florian ist das ganz anders - seine Leni ist eigentlich zu zart für das raue Leben und von dem ganzen Geschehen einfach überfordert und versucht irgendwie zu überleben. Die Motive seiner Figur sind nicht nur nachvollziehbar, sie gewinnt durch seine nuancierte Darstellung, schwankend zwischen Unverständnis, Verzweiflung, Verführung und Hilflosigkeit sehr viel an Kontur.
Die Sprache ist ein sehr archaisches Bairisch, beibehalten aus der Entstehungszeit des Stücks, aber sie funktioniert bestens! Könnte nur sein, dass die Nicht-Mundartler so ihre Schwierigkeiten damit haben werden.
Das Premierenpublikum gestern bestand zu großen Teilen aus Oberammergauern, Riederingern, anderen Trachtlern, bayerischen Kulturschaffenden und geballter Pressemeute.
Der Schlussapplaus war lang und herzlich, der Regisseur sah ziemlich aufgelöst (wenn auch sein Rübezahlbart inzwischen eingekürzt wurde) und sehr erleichtert aus, war aber nach wenigen Sekunden mit zwei kurzen Verbeugungen wieder von der Bühne verschwunden.
Die Inszenierung hat mir schon gefallen, die Ausstattung ist stimmig, keiner Zeit ganz zuzuordnen, weil ja auch das Thema immer noch aktuell ist - es war ein unterhaltsamer Theaterabend, und ich wünsche dem Stück viele viele Zuschauer, auch weil es Zeit wurde, ein weiteres Stück auf Bayrisch ins Volkstheater zu bringen. Auf Hochdeutsch kann man sich ja schon super in anderen Münchner Theatern langweilen ...
Aber ganz ehrlich: Eigentlich hätte ich doch lieber wieder mehr Maxi selber auf der Bühne!
© EFi, 24. Februar 2012

Theater in München
Zeitgenössisches gefallenes Mädchen
Ex-"Tatort"-Kommissar Brückner inszeniert Thoma. Die Magdalena ist ein Stricher, gezwängt in Kleider und auf hohe Hacken, aber keine Tunte.
Nun sind sie alle gekommen. In die Wirtschaft der Mayrs, die im Münchner Volkstheater aussieht, als habe man einen Biergarten genommen, die Bäume kastriert und das Ganze in einen schwarzen Raum hineinverlegt, der mit blendend weißen Fenstern ins Freie schaut.
Doch "das Freie", das ist nur die Schlachterei, wo der Vater im Blut rührt, und das Dorf mit all seinen engen, ängstlichen Seelen ohne Zukunft. Doch nun sind sie alle da, weil "der Bub" vom Mayr ein Stricher war, die Dorfjugend verführt und sogar den Pfarrer angebaggert haben soll. Deshalb muss er raus.
Und da springt der Junge in seiner Verzweiflung dem baumstarken Vater in die Arme und in das Messer, das er hält. Das Schlussbild: eine Pietà. Und der biologisch lebendige Teil derselben presst die finalen Worte heraus: "Jetzt reißts as naus in d Schand!"
Ja, Ludwig Thomas "Magdalena" ist bei Maximilian Brückner ein Mann. Der ehemalige "Tatort"-Kommissar ist unter die Regisseure gegangen. Dafür hat er das 100 Jahre alte Volksstück klug umgeschrieben. Denn ein "gefallenes Mädchen" schockiert heute selbst im Dorf, dessen Dynamik Brückner kennt, keinen mehr.
Nach wie vor wohnt er im Chiemgau, wo er mit sieben jüngeren Geschwistern aufgewachsen ist. Einige davon schauspielern wie er selbst. Zum Beispiel sein Bruder Florian, der nun, zartgliedrig und etwas fahrig, die Magdalena spielt, deren naives Gemüt sich eine Zukunft für den Hof und sogar eine Familie erträumt, während sich das Verhängnis zusammenbraut.
Florian Brückner ist ein begabter Akteur mit Entwicklungspotenzial. Sein "gefallener Junge" ist keine Tunte, kein Abenteurer und kein großer Geist, er bleibt Teil der Gemeinschaft, die ihn bekämpft. In einer schönen Szene wird Florian Brückner in ein enges Kleid und rote Stilettos gezwungen. Und wie er sich widerstrebend darin zu bewegen beginnt, da versteht man das Umschlagen der Verachtung in Gier bei den anderen - und fast auch das Erschrecken darüber.
Doch im Zentrum von Brückners "Magdalena" steht nicht die Titelfigur, sondern der Vater, der seiner Frau vor ihrem Tod versprochen hat, für das Kind da zu sein. Seine Gewissensqualen, seine gebeutelte Männlichkeit spielt Wolfgang Maria Bauer mit maximalem Körpereinsatz, aber zuweilen allzu äußerlich. Diesen Vollblutschauspieler auszubremsen, dazu hätte es eines Regisseurs mit größerer Erfahrung bedurft.
Dennoch, "der Maxi" kann im Volkstheater, dessen Intendant Christian Stückl ihn schon zum schauspielern verführte, wenig falsch machen. Der in München umjubelte Mundartabend ist genau hier am richtigen Ort. Bei Licht betrachtet, ist er ein Achtungserfolg: Sein Schöpfer hat einen guten Blick, aber noch nicht den langen Atem, um die anfangs beträchtliche Spannung über zwei Stunden zu halten. Und vielleicht ist er auch ein wenig zu nett.
Sabine Leucht, taz.de, 26.02.2012

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Münchner Nächte
Er habe "schon ein bisschen Schiss" hatte der Schauspieler Maximilian Brückner wenige Tage vor der Premiere seiner ersten Regiearbeit "Welt Kompakt" gestanden. Jetzt ging seine Inszenierung von Ludwig Thomas "Magdalena" erstmals über die Bühne des Volkstheaters - und danach prasselte der Applaus minutenlang auf den Regie-Novizen und sein Ensemble ein. Endlich bot sich damit dem Publikum eine gute - und völlig berechtigte - Gelegenheit, die als Wut gespeicherte Energie zu entladen. Eine Wut, die bereits zu Beginn dieses Stückes um bigotte Moral in einem bayrischen Dorf befeuert wird, als selbst der Pfarrer der sterbenden Mariann Mayr nicht zu helfen vermag, die sich in ihrer Not an ihn wendet. Zwei Stunden hat die Wut dann Zeit, zu entflammen: Marianns Sohn Leni hat sich in der Stadt prostituiert, die Verachtung der Dorfgemeinschaft ist ihm und Vater Thomas gewiss. Ein überzeugender Florian Brückner spielt den Leni als hänflinghaften Gernegroß, für den sich der großartige Wolfgang Maria Bauer als Vater unter vollem Körpereinsatz ins Zeug legt. Am Ende, das natürlich kein gutes ist, zerlegt Thomas zermürbt das Bühnenbild, einen Biergarten.
Bettina Ullrich, Die Welt online, 27.02.2012

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Jagdszenen aus Oberbayern
Die "Magdalena" lässt ihn nicht los. Vor zehn Jahren hat Maximilian Brückner Ludwig Thomas bedrückende Dörflertragödie in seinem Heimatort Riedering mit Laien aufgeführt. Jetzt debütiert er mit dem Stück um Bigotterie und Macht offiziell als Regisseur am Volkstheater.
Die Leni ist ein Kerl. Das ist Brückners Kniff, um die Geschichte von 1912 in eine vage Gegenwart rüberzuholen. Und er kehrt die Vorzeichen um. Mariann Mayr hat das Sach, die Wirtschaft und die Metzgerei, in die Ehe mitgebracht. Der Knecht ist eine Magd und die Tochter ein Sohn. Florian Brückner spielt den Leonhard Mayr, genannt Leni, als windiges Zigarettenbürscherl, als großspurigen Loser, der seine Stricherexistenz verdrängt und dennoch mit seinem erotischen Pfund wuchert. Auch wenn die Aktualisierungen gelegentlich mit dem Text kollidieren, tut Regisseur Brückner doch ein Fenster auf zu einer in einem formelhaften Katholizismus erstarrten Gesellschaft (Peter Mitterrutzners Pfarrer pflegt Latein im Gottesdienst), macht die drückende Enge dieser sogenannten Gemeinschaft sichtbar, gerade weil er die Handlung ins Freie verlegt, in den Biergarten der Mayr’schen Wirtschaft (Ausstattung: Katharina Dobner). Das Dorf ist immer anwesend und beobachtet genau, was der Einzelne tut.
Brückners Regie konzentriert sich auf den Machtkampf der älteren Männer. Hier Lenis Vater Thomas Mayr, den Wolfgang Maria Bauer mit verzweifelter Emotionalität und berserkerhafter Körperlichkeit als eine Art Michael Kohlhaas spielt, der das Recht sucht. Sein Gegner ist Alexander Dudas Bürgermeister, der vordergründig jovial die Strippen der Intrige zieht, um an ein Grundstück von Mayr zu kommen. Dafür opfert er "Leni" den Dorfburschen, die ihn wie Raubtiere umzingeln und ihre eigene Verlorenheit im Dschungel der sexuellen Identitäten in einer starken Szene an dem Außenseiter auslassen. Martin Sperrs "Jagdszenen aus Niederbayern" lassen grüßen. Das ist Volkstheater im besten Sinn und ein einfühlsames Regiedebüt.
Christiane Wechselberger, Münchner Feuilleton, #06/2012

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Die Jagd ist eröffnet
100 Jahre hat Ludwig Thomas Volksstück in drei Aufzügen bereits auf dem Buckel. In Bayern ist das Drama allein drei Mal verfilmt worden. Auch wenn die äußeren Umstände, die das Drama möglich machte, überwunden zu sein scheinen, im Denken und Fühlen ficht die Geschichte noch immer heftig an. Warum das so ist, erklärt vielleicht die Anmerkung Alfred Kerrs zur Uraufführung im Jahr 1912 an den Barnowsky-Bühnen:
Tragisch ist die Geschichte um Magdalena, der Tochter des Kleinbauern Thomas Mayr und seiner todkranken Frau Mariann, allemal. Die noch minderjährige Magdalena war als Näherin in die Stadt gegangen, wo die Verdienstmöglichkeiten für sie besser waren, als auf dem Dorf. In der Stadt gerät sie an einen Heiratsschwindler, der sie um ihr Erspartes bringt. Um zu Überleben, muss Magdalena ihren Körper verkaufen. Sie wird vor Gericht gestellt und verurteilt, in das heimische Dorf zurückzukehren, und fortan im Elternhaus in absoluter Isolation zu leben. Die Dorfbewohner haben von der Straffälligkeit ihrer Mitbewohnerin aus der Zeitung erfahren. Mutter Mariann empfängt die gefallene Tochter mit Liebe und offenen Armen. Sie ringt ihrem Ehemann das Versprechen ab, Tochter Leni nie zu verstoßen. Das Denkbare ist jedoch nicht machbar. Der Voyeurismus der Dorfbewohner lässt die Familie, die die Mutter Mariann inzwischen zu Grabe getragen hat, nicht zur Ruhe kommen. Leni ist ein schlichtes Gemüt, unfähig sich selbst und die Vorgänge um sich herum einzuschätzen. Als sie sich, gelangweilt von ihrer "Isolationshaft", mit dem Aushilfsknecht Lorenz Kaltner einlässt, konstatiert der verwundert: "Mögst d'as net glaab'n! De woaß heut no net, was s' to hat."
Im Hintergrund zieht der Bürgermeister Jakob Moosrainer seine ganz eigenen Fäden, denn er sieht die Gelegenheit gekommen, die Mayrs zu vertreiben und günstig an deren Besitz zu gelangen. Als der Bauernbursche Martin Lechner seinen Kameraden erzählt, dass er bei der Leni gefensterlt und sie nach dem Beisammensein Geld von ihm gefordert habe, kippt die Stimmung im Dorf um und ein "Haberfeldtreiben" entbrennt. Bürgermeister Moosrainer ist Wortführer in dem einstmals im Bayerischen Oberland gebräuchlichen Rügegericht. Er hat dabei einen mächtigen Verbündeten, den Kooperator Benno Köckenberger, ein Mann mit übersteigertem moralischem Sendungsbewusstsein. Staat und Kirche eröffnen in trauter Gemeinsamkeit die Jagd.
Maximilian Brückners Regiedebüt am Volkstheater erzählt die Geschichte in abgewandelter Form. Er spitzt sie zu, in dem er aus der Leni einen Leonhard macht, der in der Stadt als Stricher versucht hatte zu überleben. Homosexuelle Prostitution galt in der Entstehungszeit des Dramas als absolute Verwerflichkeit. Auch heute noch wird sie unter der Hand deutlich anders bewertet als das heterosexuelle Horizontalgewerbe. Daran ändert auch die staatlich sanktionierte und verordnete Toleranz bezüglich sexueller Orientierung nichts. Das Volkstheater ist dafür bekannt, Homosexualität immer wieder zu thematisieren. Nicht immer mit glücklicher Hand, insbesondere in ästhetischer Hinsicht. In diesem Fall jedoch gelang eine Aktualisierung, die dem Stück eine neue Dimension verlieh.
Katharina Dobner, die für Bühne und Kostüme gleichermaßen verantwortlich zeichnete, hatte einen realistischen Biergarten auf der Bühne installiert. Grüne Biergartengarnituren standen in grobem, weißen Kies. Das schuf Atmosphäre, war aber der Akustik nicht unbedingt zuträglich, denn der Kies knirschte lautstark unter den Sohlen der Akteure. In den drei Bühnenwänden waren weiße Fenster eingelassen, über denen große Jagdtrophäen prangten. Im Hintergrund, auf einer hölzernen Terrasse, stand ein Schankhäuschen. Umsäumt war der Garten von Baumstümpfen. Bei genauer Betrachtung musste der Zuschauer erkennen, dass allenthalben entleibte Natur war, abgesägt Bäume, abgesägte Geweihe. Ein wirklich gelungenes Bild, denn es entsprach sehr deutlich dem Inhalt des Stückes, in dem es vornehmlich darum ging, menschliche Natur auszublenden, schamhaft zu verstecken, zu unterdrücken oder gar zu töten. Das gesellschaftliche Regelwerk, durchsetzt von Bigotterie, die ihrerseits Aggressionen schuf, war ein ungeschriebenes, aber dennoch ein übermächtiges.
Regisseur Maximilian Brückner ließ es dann auch richtig krachen. Emotionale Ausbrüche wurden rasant körperlich, wobei Bänke und Tische zu Wurfgeschossen wurden. Man ging sich ans Leder, derb und unverblümt, wenn es galt, sein Besitz zu verteidigen, seinen Anspruch zu behaupten oder auch nur, um sich Luft zu machen. Ein herausragender Darsteller war Wolfgang Maria Bauer als Thomas Mayr. Er spielte einen bodenständigen, zupackenden Landmann, der von seinen eigenen zwiespältigen Anschauungen gehetzt und gequält wurde. Einerseits Vater, andererseits Dorfbewohner und eins mit den gängigen Auffassungen von Moral und Ordnung, streichelte oder schlug er seinen Buben Leonhard. Dieser wurde von Florian Brückner gespielt. Brückner verlieh seinem Leonhard ein Maß an Tumbheit, das den Intentionen Ludwig Thomas unbedingt entsprach. Im Nichtverstehen, im Nichterkennen (können) versteckte sich die Fußangel, die den Fall auslöste. Brückner konnte glaubhaft überzeugen, dass diese Figur keine Chance hatte, zu entkommen. Von bewegender Emotionalität war das Spiel von Ursula Maria Burkhart als Mutter Mariann. Mit ihrem Abgang ging gleichfalls die Hoffnung auf Menschlichkeit, auf ein friedliches Ende. Neben Alexander Duda, der als Bürgermeister Moosrainer staatliche Instanz und verschlagenes Großbauerntum in seinem Spiel miteinander vereinen konnte, bestach Mara Widmann als Lorenza durch kühles Understatement.
Die gradlinige und auf jegliche Mäzchen verzichtende Inszenierung war eine gelungene Neuauflage des Stoffes, der es an Modernität nicht mangelte. Allerdings sei angemerkt, dass man als Preiß (selbst als assimilierter) seine Probleme mit dem Verständnis hat. Hochbayerisch klang es nicht immer. Doch das deutliche Spiel aller Beteiligten macht die Geschichte transparent. Da konnte schon mal ein Satz untergehen, ohne dass es dem Genuss abträglich war. Der Premierenbeifall war frenetisch. Ein wenig zu frenetisch vielleicht und gewiss auch der Tatsache geschuldet, dass es für die Brückners ein echtes Heimspiel war.
Wolf Banitzki, Theaterkritiken

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aus: Volksmund #7, Spielzeit 2012/13

Die letzte Vorstellung gibt es am 5. Februar 2014.

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Trivia:
Vom Bayerischen Rundfunk wurde das Theaterstück mehrmals verfilmt. 1954 erschien ein Fernsehspiel unter der Regie von Alois Johannes Lippl mit der jungen Ruth Drexel als Magdalena. 1966 folgte eine neue Version von Hans Schweikart mit Rudolf Vogel in der Rolle des Vaters. 1983 inszenierte schließlich Jörg Graser das Stück mit Fritz Straßner als Paulimann, Maria Singer als Mariann, Andrea Wildner als Magdalena und Toni Berger als Bürgermeister.
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Seite erstellt am 15. September 2011 von EFi ;
zuletzt ergänzt am 14.1.2014
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