Premiere am 29. November 2002
Die Handlung: Die Geierwally ist auf der Flucht vor ihrem gewalttätigen Vater, dem reichen Höchstbauern Strominger, und Vinzenz, den sie heiraten soll. Denn sie liebt nur einen, den Jäger Josef. Doch den kriegt sie nicht. Da haust sie nun auf karger Bergeshöh' allein mit ihrem Geier - so lange, bis der Vater stirbt und sie sein Erbe antritt, hart und hochmütig. Weil Josef sie vor dem ganzen Dorf demütigt, gibt sie ihn zum Abschuß frei, um ihn schließlich selbst aus der Steilwand zu retten ...
Zähmung einer Widerspenstigen Am Volkstheater: Christian Stückl nimmt die "Geierwally" ernst "Ich wurde drei Stunden nicht nur gefesselt", gestand Fontane, "sondern abwechselnd erschüttert und erhoben. Die Macht der Poesie war stärker als das immer wieder sich regende kritische Bedenken." Für kritisches Bedenken gibt es allen Grund. Gar mächtig toben die Gefühlsstürme in dem Berg-und-Tal-Drama von 1873. Mit "Die Geierwally" gelang Wilhelmine von Hillern ihr größter Erfolg. Wally wurde zur Theater-, Opern- und mehrfachen Filmheldin. Inspirieren ließ sich die Autorin von Werken wie "Arzt der Seele" und "Höher als die Kirche" von einem Bild der Malerin Anna Knittel. Mit siebzehn hatte die Büchsenmachertochter aus Elbingenalp gewagt, wozu kein Bursche den Schneid aufbrachte. Sie schlüpfte in die Hosen ihres Bruders und hob tollkühn einen Adlerhorst in der Saxerwand aus. An Pathos steht von Hillerns "Geierwally" vielen Produkten aus der Süßwarenfabrik der Alpenmilchschnulzen nicht nach. Das allein aber machte sie nicht zum Mythos. Wally ist kein Trotzköpfchen. Walburga Strominger ist die wohl wildeste Frau der deutschen Heimatliteratur. Wally will nur einen, den bärenstarken Joseph. Weil sie sich weigert, den vom Vater bestimmten Mann zu heiraten, verbannt er sie mit ihrem Geier in die "Einöde des Gletschers", bis sie nach seinem Tod das Regiment auf dem Hof übernimmt. Von Hillerns Stückfassung, die von heute an im Volkstheater zu sehen ist, in der sich die Ausrufezeichen jagen, erzählt von Wallys obsessiver Liebe, mörderischer Rachlust, Reue und Katharsis. Die Zähmung einer Widerspenstigen. Wally begehrt auf gegen den Vater: "I lass mi net zwingen! I bin koa Stück Vieh." Das gefiel natürlich auch den Nationalsozialisten. Hans Steinhoff, seit "Hitlerjunge Quex" Darlingregisseur des Dritten Reiches, machte mit seinem bildgewaltigen Film 1940 Heidemarie Hatheyer zum Star. Ein Sinnbild weiblicher "Kraft und Treue". An der Heimatfront brauchte man starke und zugleich geduldig wartende Frauen. Ganz aber fügt sich die Geierwally in kein ideologisches Muster. Dazu ist sie zu widerspenstig. In den achtziger Jahren verführte sie noch einmal Walter Bockmayer zur schrillen Parodie, in der quietschebunt Tunten auftanzten. Christian Stückls Inszenierung, zu der die Jungen Riedinger Musikanten aufspielen, will die "Geierwally" wieder ernst nehmen. "Als eine Frau", so Dramaturg Carsten Golbeck, "die sich gesellschaftlich nicht integrieren kann. Gefangene einer Liebe, die man heute pathologisch nennen würde. Eine Außenseiterin, die tiefe Sehnsüchte und Ängste auslöst durch ihre Unzähmbarkeit." "Schön war's doch da oben!", sagt sie im Roman "zögernden Fußes", ehe sie ihrem Joseph hinabfolgt in die Ehe. Ein Happy End wird es im Volkstheater nicht geben. Heute, um 20 Uhr, kämpft Wally dort um ihr Herzensglück. Petra Hallmayer, Süddeutsche Zeitung, 29. November 2002 Turnier der Triebe Da setzen sich die Burschen vom Dorf ihre Clownsnasen auf, bilden um die fein herausstaffierte Höchstbäuerin einen Kreis, legen einen Schuhplattler hin, und die gemeine Gaudi hat begonnen: der Schaukampf um den Kuss, den der Hagenbach Josef sich gleich mit der Strominger Walburga liefern wird. In dem Moment ist hier auf der Volkstheater-Bühne bei der Premiere der "Geierwally" schon einigermaßen Rasantes geboten - atemloses Schlagen, Küssen, Beißen, da geht's, spürt man, um Liebe oder Tod. Aus der Balz wird eine Hatz. Jäger Josef zwingt mit brutalem Nackengriff das erlegte rotblonde Wild in den Staub, lässt die Trophäe verächtlich liegen und geht als Sieger ab von dem Turnier der Triebe und Hiebe. Die Umstehenden "steinigen" das waidwunde Weib nun auch noch mit Kiesel, Sand und Federn. Der Vogel scheint gerupft, der Stolz gebrochen und die Geierwally am Ende. An den Anfang seiner Intendanz setzte Christian Stückl zwei eigene Inszenierungen. Nach Shakespeares blutiger Suada "Titus Andronicus" nun also "Geierwally", den geliebten Schmachtfetzen der Oberammergauerin Wilhelmine von Hillern aus dem 19. Jahrhundert. Das, will Stückl zeigen, ist die Spannbreite seines Hauses: das Münchner Volkstheater zwischen Kunst und Kitsch. Mag der "Titus" nicht wenige Besucher verschrecken, werden umso mehr - diese Voraussage darf man wohl wagen - die "Geierwally" lieben. Warum? Weil Stückl hier mit sicherem Instinkt auf das setzt, was er hervorragend kann: der immer wieder gut inszenierte Einsatz von Gruppen und Laien, deren natürliche Theatralik er sich und der Aufführung zunutze macht. Wenn hier also die Jungen Riederinger Musikanten als wilde Dorf-Clique von heute im "Lammwirt" einfallen oder als Blaskapelle zu Peter & Paul aufspielen oder wenn auch nur zwei von ihnen mit hinreißender, komisch-kindischer Verdrehtheit der Geierwally die Aufforderung zum Tanz überbringen, dann hat das jenen Charme des Absichtslosen und den Witz der Realität. Dann liegen Spiel und Wirklichkeit, Komik und Ernst ganz dicht nebeneinander. Dann hat die Aufführung ihre Höhepunkte. Ähnlich gilt das auch für Anton Burkhart, den Förster im Leben wie auf der Bühne. Kein Theaterprofi, aber in der Rolle des Josef doch einer, bei dem ganz unverstellt der Funke überspringt. Bis das der Aufführung insgesamt gelingt, vergeht eine geraume Zeit. Warum? Das mag erstens daran liegen, dass Stückl die schöne Heimatschnulze zur Tragödie stemmt und er dabei auf feine ironische Brechung verzichtet. Zweitens an der zwar praktikablen, stilisiert modernen Stahlgerüst-Bühne in drei Etagen, die allerdings kaum Atmosphäre aufkommen lässt. Und drittens an den doch noch weitgehend unbedarften Schauspielern und somit auch an der Geierwally selbst. Der jungen Brigitte Hobmeier fehlt es an Kraft und, vielleicht, an darstellerischem Mut, um das Feuer hinter ihrer Tiefkühl-Fassade glaubhaft zu machen. Wir sehen nur das erst armselige, dann gedemütigte und schließlich zickige Mädchen, ob in Jeans oder Seidenfummel. Die Wildheit aber, die diese Geierwally schließlich unsterblich gemacht hat, bleibt sie ihr leider ganz und gar schuldig. Dennoch: Bei der Premiere am Freitag kassierten alle viel Beifall und dazu einen Extra-Jubeljodler aus tiefstem Herzen. Sabine Dultz, Münchner Merkur, 1. Dezember 2002
Christian Stückl inszeniert die "Geierwally" am Volkstheater Am deutlichsten erklären die Mitwirkenden die Aufführung etwa vier Stunden nach deren Ende: Da spielen die Musikanten bei der Premierenfeier auf, der Intendant greift zur Gitarre, ein spontanes Krippenspiel ist auch noch drin. Das hat eine Unmittelbarkeit, eine Liebe zum Volk, das wahrlich nicht tümelt. Und auch eine Fremdheit, im designten Foyer des Volkstheaters. An der "Geierwally" bemisst sich Christian Stückls Wollen als Volkstheaterintendant. Mit "Titus" war er auf vermeintlich fremdem Terrain voller guter Ideen interessant gescheitert, mit den "Durstigen Vögeln" hatte Kristo Šagor in wüstem Schlingern das Theater der Jugend überholt. Wenn Stückls Idee von der Aufhebung der Kategorien sowohl der Sujets als auch der theatralen Realisation einen ureigenen Sinn haben soll, dann musste sich das bei der "Wally", diesem zusammengezimmerten Alpenmelodramverhau der Wilhelmine von Hillern, erweisen. Wenn Stückls Theater eine spezifische Kraft hat, dann durchbricht es diese dräuende Penetranz, weil es genau hier ansetzt. Nun hat Stückl in seinem Ensemble Akteure, die jeden ausgebildeten Schauspieler, der verzweifelt ein Engagement sucht, in tiefe Depression stürzen müssen. Bei manchen geht der Gedanke auf, Laien könnten manche Dinge genau so gut wie Profis, man muss sie nur passend besetzen. Hubert Schmid etwa ist einfach ein überzeugender Wirt. Bei manchen fragt man sich allerdings, welche Rollen da noch gefunden werden müssen. Ursula Burkhart etwa kann man sich bestenfalls als Okapi im Tierpark Hellabrunn vorstellen. Andererseits wird in der "Geierwally" deutlich, dass in den Brüchen, den Reibungen, dem roh Nichtausgeglichenen eine ungeheure Kraft liegt. Der zarten Wally Brigitte Hobmeier in all ihrer Überforderung, wenn es tragisch wird, einen Alexander Duda als dampfenden Patriarchen, eine Katja Müller als echt liebende Rivalin gegenüberzustellen, ist zwar grob, weil es das Mädchen zermalmt. Aber darum geht es hier ja auch. Christian Stückl nimmt das Stück, wie es ist, hat weder eine affirmative noch eine ironisierende Haltung dazu. Doch wozu braucht's eine Haltung, solange wir noch was zum Saufen haben? In den groben Lackeln, als Horde dargestellt von den Riederinger Musikanten, liegt ein wenig von Werner Schwabs Bitternis, von Fassbinders maulfaulem Bairisch. Wenn die Wally zerfetzt vom geilen Spott des naturprallen Josef am Boden liegt, stimmen die Burschen ein Lied an. Wer’s sich mit der Heimat verscherzt, den bringt sie um. Wer nicht mittrinken will, den erst recht. Viel wird hier gesoffen, vielleicht weil die Figuren zwischen Tracht und Cargo-Hose einen Halt suchen auf der verbrunzten Bühne (Marlene Poley), einem mühsam vom Fliegengitter zusammengehaltenen Stadl, dessen Balken in den Bühnenhimmel reichen, wo der Geier krächzt. Ebenso suchen sie verzweifelt einen Halt in der Sprache. In einem Kunstbairisch, das manchem Schauspieler so schal im Mund hängt wie die Zunge nach dem neunten Bier. Dann blasen die Musiker einen fröhlichen Ländler. Auf geht's zum Totentanz. Die Geier warten schon. Nicht aufs Volkstheater, das einen steinigen Weg gewählt hat. Fremd, roh, unmittelbar. Wüst. Aber nicht leer. Egbert Tholl, Süddeutsche Zeitung, 2. Dezember 2002
Herzensnöte eines Hochgebirgs-Girlie Volkstheater: Dialekt und Action in Christian Stückls "Geierwally" Der Geier ist immer dabei - wenn auch nur akustisch. Regisseur Christian Stückl wollte einen echten Geier auf der Bühne haben, aber keine Züchter machte mit: Zu viel Streß für die Vögel. So krächzt Hansi aus dem Off, wenn sich die Schicksalsknoten für seine Ersatzmama Geierwally schürzen. Mit dem Kult-Heimatstück "Geierwally" von Wilhelmine von Hillern (der Roman erschien 1883, 1891 die Bühnenfassung) etabliert Hausherr Stückl den Dialekt im neuen Volkstheater-Spielplan. Erfolgreich: Die trampelnde Fuß-Abstimmung des Premierenpublikums war trotz weniger Buhs für Stückl eindeutig. Blasmusik & Biertisch-Rituale Unten Wirtshaus, darüber Großbauernhof und Berge, ganz oben die absturzgefährliche Hochgebirgs-Plattform als Zuflucht für Herzensnöte. Marlen Poley (Bühne und Kostüme) baute aus Holz und Metall drei Ebenen, deren Naturalismus-Schmuddel verschimmelter Abriß-Wände für viele Szenen nicht paßt. Lichtmeister Günther E. Weiß zaubert darauf auch Unwetter und Hochgebirge. Dem unentschiedenen Bild entspricht Stückls bunter Regie-Stilmix. Die Riederinger Musikanten spielen zur ironischen Brechung mit Blasmusik und Schuhplattler auf. Mit diesen Laien inszenierte Stückl die zotigen Biertisch-Rituale und Raufereien junger Burschen als naturalistisches Bauerntheater. Daneben stehen verkrampfte Chargen (Ursula Burkhart schält Kartoffeln vorm Fernseher), eine große Kunstfigur (Katja Müller stöckelt und stolpert hervorragend als Bedienung Afra) und die realistisch gespielte Liebes-Enttäuschung der Brüder Leander (Max Brückner) und Benedikt (Leopold Hornung). Geierwallys heimliche Liebe, der Bären-Josef, ist bei Anton Burkhardt, dem Oberammergauer Jesus von 2000 ein imposantes Mannsbild mit Westernhelden-Touch, aber holzgeschnitzter Körpersprache. Dennoch macht Stückl aus dem Kampf um den abgerungenen Kuß eine fulminante Tanz-Action. Brigitte Hobmeiers Geierwally sucht als starke junge Frau mit hirnrissiger Psyche ihren Meister: Naive Liebesverzückung, kalte Arroganz der klunker-glitzernden Bäuerin, Verzweiflung und Resignation der Gedemütigten zeigt sie als trotzig-spöttisches Girlie im häßlichen Satinkleid mit Gummistiefeln. Ein erkennbares Potential, bei der Premiere noch nicht ausgespielt. Ein Happy-End gönnt ihr Stückl nicht: Der letzte Liebeskampf ist tödlich. Hol's der Geier. Gabriella Lorenz, AZ, 2. Dezember 2002
Unser bestes Pferd im Stall 23-mal "Geierwally": 12 000 Besucher - Neue Stückl-Premiere Oberammergau/München - Nicht einmal ein halbes Jahr ist vergangen, seit Christian Stückl im Oktober 2002 als frischer (und motivierter) Intendant dem Münchner Volkstheater wieder neues Leben einhauchte. Vier Premieren stampfte der Oberammergauer in dieser kurzen Zeit aus dem Boden, wobei Stückl zweimal selbst Regie führte - in "Titus Andronicus" von William Shakespeare, dem Auftaktstück, und in der "Geierwally" aus der Feder Wilhelmine von Hillerns. Vor allem das Alpendrama mit der jungen erfrischenden Brigitte Hobmeier in der Hauptrolle entwickelte sich am Volkstheater zu einem ungeahnten Publikumserfolg: Zu den bislang 23 Vorstellungen der "Geierwally" strömten nach Angaben des Theaters rund 12 000 Besucher, darunter auch viele aus Oberammergau, dem Ammertal und dem Landkreis. Die Kritiken waren überwiegend positiv. Auch im April bleibt die "Geierwally" im Spielplan des Münchner Volkstheaters, wird noch viermal gespielt (24. bis 27. April). Mit dem Erfolg hat der Regisseur übrigens nicht unbedingt gerechnet: "Sie ist momentan unser bestes Pferd im Stall." Dazu präsentiert Intendant Stückl im April eine neue Premiere - "Die Räuber", das Erstlingswerk von Friedrich Schiller (erstmals am 16. April, mit Maximilian Brückner als Karl Moor und Brigitte Hobmeier als Spiegelberg). Ursprünglich sollte dieses Drama ein junger Regisseur auf die Bühne bringen, doch nach drei Wochen verließen ihn derart die Kräfte, dass er aufgab. So musste der Chef selbst einspringen und die glühenden Kohlen aus dem Feuer holen: "Das war so nicht geplant." Seine erste (Halb-Jahres-)Bilanz am Volkstheater sieht Christian Stückl insgesamt positiv; es sei ganz gut gelaufen, obwohl: "Man steht ganz schön unter Druck." Er sei nicht nur für eigene, sondern auch für Inszenierungen anderer Regisseure zuständig. Daneben müssten die Auslastungszahlen stimmen. Die bewegen sich momentan auf dem Niveau wie früher unter der Intendanz von Ruth Drexel. "Damit kann ich gut leben", so Christian Stückl, dem jüngst der Aufsichtsrat Zufriedenheit signalisierte und auch Münchens Oberbürgermeister Christian Ude äußerte vor kurzem bei einem öffentlichen Podiumsgespräch, "dass mit Stückl der Laden im Volkstheater wieder richtig läuft ..." Ludwig Hutter, Münchner Merkur, 25. März 2003 Photos: © Johannes
Seyerlein
Die letzten
Vorstellungen der Geierwally waren am Freitag, 7. Januar
und am Samstag, 8. Januar 2005, Beginn jeweils um 19:30 Uhr.
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erstellt am 7. November 2009 von EFi |
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